Berlin (epd). Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) machte Diakoniepräsident Lilie deutlich, dass weit mehr kranke oder unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geholt werden könnten. "Die Aufnahme von einigen hundert Personen hier bei uns wird zu keiner wesentlichen Änderung der Situation beitragen." Die Kommunen, aber auch Träger wie die Diakonie seien bereit, hier aktiv zu werden. Sauber geplant und gut vorbereitet, könne Deutschland "sehr viel mehr Menschen aufnehmen, als derzeit in Rede steht". Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Sieben EU-Staaten wollen als "Koalition der Willigen" Kinder und Jugendliche aus Griechenland aufnehmen, darunter auch Deutschland. Wie bewerten Sie das Vorhaben?
Ulrich Lilie: Die im Koalitionsausschuss jetzt genannte Zahl von 1.000 bis 1.500 Personen, die insgesamt kommen sollen, ist viel zu gering. Die Zahl meint eine europaweite Aufnahme, von der Deutschland lediglich einen angemessenen Anteil übernehmen will. Doch die Aufnahme von nur einigen hundert Personen hier bei uns wird zu keiner wesentlichen Änderung der Situation beitragen.
epd: Was ist zur Altersfestlegung zu sagen?
Lilie: Grundsätzlich ist die Einschränkung der Regierung auf unbegleitete Minderjährige nur bis zum Alter von 14 Jahren nicht akzeptabel. Auch 15- bis 18-jährige Jugendliche gehören zu den besonders vulnerablen Gruppen, die man aus den Lagern holen müsste. Das gilt besonders auch die Mädchen und jungen Frauen.
epd: Schwerkranke Kindern sollen geholt werden. Aber die haben in aller Regel auch Eltern. Dürfen die mitkommen und sind sie in den Zahlen von Personen, die aufgenommen werden sollen, enthalten?
Lilie: Wir gehen davon aus, dass die Eltern und die Geschwister ebenfalls mit aufgenommen werden. Das müsste die Regierung in ihrer Aufnahmeanordnung klären. Unsere Forderung ist, dass Eltern und Geschwister, ebenfalls aufgenommen werden, ohne auf die Quote angerechnet zu werden. Wir haben vernommen, dass auf die deutsche Quote auch noch Familienzusammenführungsfälle angerechnet werden, also Menschen die Deutschland aufnimmt, weil sich hier bereits Angehörige befinden. Das ist nicht zulässig, weil ein Recht auf Familienzusammenführung besteht. Diese Personen dürfen bei einer humanitären Aufnahmeaktion nicht angerechnet werden
epd: Welches sind die nächsten Schritte, die Sie von der Bundesregierung nun erwarten, damit schnell Flüchtlingskinder aus den Auffanglagern geholt werden können?
Lilie: Das Bundesinnenministerium muss in Absprache mit den Ländern eine Aufnahmeanordnung erstellen, die die Anzahl der aufzunehmenden Personen und das Verfahren klärt. Dabei sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass die Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge möglichst dort erfolgt, wo aktuell Kapazitäten vorhanden sind und nicht nach dem bundesweiten Verteilungsschlüssel entschieden werden. Hier müssten flexible Lösungen ermöglicht werden. Auch die Einrichtungen der Diakonie verfügen über entsprechende Konzepte und Erfahrungen, aber die Träger brauchen langfristige Planungssicherheit. Dann kann Deutschland sehr viel mehr Menschen aufnehmen, als derzeit in Rede steht.
epd: Wer sollte die Auswahl der Kinder und Jugendlichen in den Lagern vornehmen und wie lange wird es nach Ihrer Prognose noch dauern, bis die ersten Betroffenen Deutschland erreichen?
Lilie: Wir fordern ein schnelles und unbürokratisches Auswahlverfahren durch das UNHCR unter Kooperation mit dem European Asylum Support Office (EASO) und der EU-Kommission. Wie lange das letztlich dauern wird, hängt davon ab, wie aufwendig das Verfahren gestaltet wird. Das ist schwer vorherzusehen und kann durchaus noch Wochen dauern.
epd: Bislang konzentrieren sich alle Hilfszusagen für Griechenland auf die Lager. Doch was ist mit den geschätzten 20.000 Personen, die schon im Grenzgebiet sind. Was soll mit diesen Menschen geschehen?
Lilie: Die EU ist rechtlich verpflichtet, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Zunächst müssen sie dringend mit allem Lebensnotwendigen versorgt werden. Dann muss die Lage schnellstmöglich durch eine geordnete Aufnahme deeskaliert werden. Dazu müssen die Rahmenbedingungen mit der Türkei schleunigst geklärt werden, damit sich nicht weitere Flüchtlinge mit falschen Hoffnungen auf den Weg nach Griechenland machen oder an die Grenze gebracht werden.