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Gesundheit

Gastbeitrag

Notfallversorgung: Funktionierende Strukturen nicht plattmachen




Bernadette Rümmelin
epd-bild/Kirsten Breustedt/kkvd
Der Katholische Krankenhausverband hält eine Reform der ambulanten Notfallversorgung für dringend nötig. Doch, so Geschäftsführerin Bernadette Rümmelin in ihrem Gastbeitrag, der Ansatz, Integrierte Notfallzentren zu schaffen, sei falsch. Niemand brauche Doppelstrukturen, die den Patienten nicht weiterhelfen. Sie wirbt für den Ausbau der bestehenden Portalpraxen.

Eine Reform der ambulanten Notfallversorgung ist überfällig. In den Notaufnahmen der Krankenhäuser landen Tag für Tag Patienten mit nicht akuten Beschwerden an. Sie wären bei einem niedergelassenen Arzt oder dem kassenärztlichen Bereitschaftsdienst gut aufgehoben. Stattdessen nehmen sie in der Klinik lange Wartezeit in Kauf, denn dort kommen die Patienten nach Schwere ihrer Beschwerden an die Reihe und werden dann in vollem Umfang diagnostisch untersucht.

Der Gesetzgeber hat zuletzt einiges unternommen, um die ambulante Versorgung für diese Patientengruppe attraktiver zu machen. Mit den Terminservicestellen sollen Patienten schneller Termine beim Fach- oder Hausarzt bekommen. Zudem wurden die Kassenärztlichen Vereinigungen dazu angehalten, ihre ärztlichen Bereitschaftsdienste besser bekanntzumachen.

Seit Jahresbeginn sind die Hotlines der Terminservicestellen und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes unter der einheitlichen Rufnummer 116 117 zusammengefasst. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung verspricht, die Patienten so besser zum passenden Behandler zu lotsen.

Gemeinsame Notfall-Leitstellen sinnvoll

Der aktuelle Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung geht noch einen Schritt weiter. In "Gemeinsamen Notfall-Leitstellen" (GNL) sollen künftig auch die Rufnummer 116 117 und die Notrufleitstelle 112 zusammengefasst werden - eine weitere grundlegende Neuerung im System. Damit werden Patienten noch stärker bei der Hand genommen. Bei Anruf sollen sie sofort eine medizinische Ersteinschätzung erhalten und zum richtigen Behandlungsangebot vermittelt werden.

Die GNL sind als zentrale Lotsen in der medizinischen Notfallversorgung 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche erreichbar. Sie arbeiten digital vernetzt und sollen die Steuerung der Notfallrettung, der Krankentransporte und der Bereitschaftsdienste übernehmen. Auch ist vorgesehen, die Aufnahmekapazitäten der Kliniken dort in Echtzeit zu hinterlegen.

Vor diesem Hintergrund weist der Sachverständigenrat Gesundheit zu Recht darauf hin, dass sich dadurch eine spürbare Veränderung bei den Patientenwegen ergeben kann. Wenn die GNL gut funktionieren, wird das auch die Notaufnahmen deutlich entlasten.

Das bringt viel Bewegung ins System. Daher ist es sinnvoll, die in der Reform der Notfallversorgung vorgezeichneten neuen Service- und Versorgungswege zielgerichtet und planvoll zu begehen. Das heißt, sich die im Referentenentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen Schritt für Schritt vorzunehmen.

Kernstück der geplanten Reform

In einer ersten Stufe sollten die GNL eingerichtet werden. Sie sind das eigentliche Kernstück der geplanten Reform. Die Effekte der besseren telefonischen Erreichbarkeit und der digital vernetzten Hilfe sollten zumindest zwei Jahre in der Praxis Wirkung zeigen. In dieser Zeit müssen sie evaluiert und ihre Auswirkungen auf die Patientenwege ausgewertet werden. Erst auf dieser Grundlage sind weitere Schritte sinnvoll.

Das gilt insbesondere für die Frage, ob und welche neuen Strukturen an den Krankenhausstandorten benötigt werden. Das ist die zweite Stufe. Schon jetzt gibt es rund 700 Portalpraxen an Kliniken. Hier kooperieren die Krankenhäuser mit niedergelassenen Ärzten in Modellen, die an regionale Bedürfnisse angepasst sind. Auch dafür hat der Gesetzgeber vor nicht allzu langer Zeit die Weichen neu gestellt. Mit dem vor vier Jahren in Kraft getretenen Krankenhausstrukturgesetz wurde ihr Aufbau deutlich gefördert. Auch an jedem dritten katholischen Krankenhaus gibt es mittlerweile solche Kooperationen.

Gegen starre Vorgaben von oben

Galten die Portalpraxen eben noch als Zukunftskonzept, will Gesundheitsminister Jens Spahn sie nun schnell durch "Integrierte Notfallzentren" (INZ) ersetzen. Deren Organisation und Ausgestaltung soll von oben starr vorgegeben werden. Es droht, dass politischer Aktionismus aus der Praxis heraus gewachsene, gut funktionierende Versorgungsstrukturen platt macht. Die neuen INZ aus der Retorte werden Geld kosten für Neu- oder Umbauten und auch für Personal. Und sie drohen Doppelstrukturen zu schaffen.

Die Frage ob und wie sie angesichts der Veränderungen durch die GNL angenommen und gebraucht werden, bleibt offen. Auch ist kaum bedacht, ob sich durch eine Konzentration der INZ an wenigen ausgewählten Standorten, die Wartezeit der Patienten tatsächlich stark verringern wird. Denn so wird die Zahl der Anlaufstellen an Kliniken für die Patienten deutlich reduziert.

Zu erwarten ist vielmehr, dass Patienten zunächst weiterhin zum Krankenhaus in ihrer Nähe fahren, auch wenn ihr Leiden kein akuter Notfall ist. Aus Sicht der Patienten ist das vernünftig. Denn auch Kliniken ohne INZ werden weiter an der stationären Notfallversorgung teilnehmen. Doch sieht der Referentenentwurf vor, dass diese Krankenhäuser einen Abschlag von 50 Prozent der Behandlungskosten in Kauf nehmen müssen, wenn sie Patienten in einer lediglich gefühlten Notlage helfen, anstatt sie abzuweisen.

Kliniken kommen in verzwickte Lage

Das bringt die Kliniken in eine verzwickte Lage: Es entspricht dem ethischen Anspruch der Kliniken, Patienten zu helfen, wenn sie vor ihrer Tür stehen. Außerdem haben sie eine vom Land übertragene Versorgungsverpflichtung. Weisen sie Patienten dennoch ab, ist das zudem aus Haftungsgründen riskant. Hinter den augenscheinlich nicht akuten Beschwerden könnte sich nach genauerer Untersuchung doch ein erstzunehmender Notfall verbergen. Vor diesem Hintergrund ist der im Referentenentwurf vorgesehene Abschlag von 50 Prozent mehr als unangemessen.

Die Herausforderung der ambulanten Notfallreform liegt darin, das Vertrauen der Patienten in die ambulanten Versorgungsangebote zu stärken. Denn auch künftig entscheiden die Patienten letztlich selbst, wo sie Hilfe suchen. Wenn die GNL das Vertrauen der Patienten gewinnen, werden sich viele von ihnen außerhalb der Praxisöffnungszeiten nicht mehr auf eigene Faust auf den Weg machen, um eine Praxis oder Notaufnahme anzufahren.

Für alle anderen sind Portalpraxen schon heute eine gute Wahl. Sie sind passgenau auf die Gegebenheiten vor Ort zugeschnitten. Und sie nutzen Synergien zwischen ärztlichem Bereitschaftsdienst und Notaufnahme, ohne Doppelstrukturen oder unklare Verantwortlichkeiten zu schaffen.

Bei der Reform der Notfallversorgung müssen die Patienten der Maßstab sein. Vor diesem Hintergrund sollten neben den GNL auch die vorhandenen Portalpraxen evaluiert und ihre Arbeit ausgewertet werden. Unsere Erfahrung ist, dass die regional gewachsenen Portalpraxen schon heute eine gute Versorgung der Notfallpatienten leisten. Sie haben Potenziale für mehr Vernetzung und engere Kooperationen. Daher ist eine im Politiklabor erdachte Struktur wie die INZ weder nötig noch zielführend.

Bernadette Rümmelin ist Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Deutschlands.