sozial-Branche

Traumatisierung

Expressive Sandarbeit als Hilfe für Flüchtlingskinder




Expressive Sandarbeit kann Flüchtlingskindern im Spiel helfen, Traumata zu verarbeiten.
epd-bild/Jutta Olschewski
Es kann schwer sein, die eigene Geschichte zu erzählen. Mit Sand, Stoffen, kleinen Figuren und Tierchen kann das leichter gehen. "Sandwork" heißt die Methode, für die ein Nürnberger Verein jetzt wieder ehrenamtliche Unterstützer sucht.

Anne Kistmacher ist von dem Satz eines kleinen Mädchens immer noch gerührt: "Mama, ich bin ganz neu", hat es seiner Mutter zugerufen, als es nach einer Sandspielstunde abgeholt wurde. "Das hat mir die Sinnhaftigkeit von dem, was wir tun, gezeigt", erklärt die Sozialpädagogin. Eine etwas ältere Schülerin stellte sogar fest: "Sandspiel ist gut für die Seele".

Im Freien Hort Nürnberg, wo Kistmacher seit 30 Jahren arbeitet, hat die Heil- und Sozialpädagogin mit Kolleginnen und Ehrenamtlichen im vergangenen Jahr die "Expressive Sandarbeit" eingeführt. Vor allem Kinder aus Flüchtlingsfamilien sollen an diesem Projekt teilnehmen können. Damit es weitergeführt werden kann, ist Kistmacher auf der Suche nach neuen "Mitspielern" für das Konzept und nach Sponsoren.

"Ein Kind spielt im Sand und ein Erwachsener langweilt sich daneben", das könnte ein Außenstehender denken, der sieht, was montags in einem langgestreckten fast leeren 50-Quadratmeter großen Raum des Horts praktiziert wird, sagt Erzieherin Karin Galster. In Wirklichkeit wird hier aber eine nonverbale Methode angewandt, die selbstheilende Kräfte in den Kindern wecken kann, die Krieg oder Flucht erlebt haben.

Idee stammt aus Mailand

Eva Pattis aus Mailand hat die Methode auf der Basis der analytischen Psychologie nach Carl Gustav Jung entwickelt, erzählt Kistmacher, die sich mit Pattis regelmäßig austauscht. Das Konzept soll der Psyche helfen, sich selbst zu regulieren.

Gerade für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren, die mit ihren Eltern geflüchtet sind und sich in der neuen Sprache nicht gut ausdrücken können, eignet sich die Herangehensweise, sagen Experten. "Die Sprache bleibt im Hintergrund", erklärt Karin Galster. Wie bei einer Mal- oder Musiktherapie für Erwachsene drücke sich aus, was im Innern der Seelen vorgeht. "Dann spürt das Gegenüber das Ungesagte", ergänzt Kistmacher.

Und in vielen Fällen überträgt sich auch die Gefühlslage der Kinder auf die Erwachsenen. Galster und Kistmacher haben am eigenen Leib gespürt, dass ihnen angesichts der Szenarien, die die Kinder bauten, selbst der Atem stockte. "Aber die Kinder gehen dann ganz gut gelaunt von dannen", sagt Kistmacher.

Duos aus Kindern und Erwachsenen

Die acht Jungen und Mädchen, die in der Sandarbeit-Gruppe sind, nehmen in acht Einheiten am Sandspiel teil. Heute hat sie Karin Galster bereits zusammengeholt und fröhlich schwatzend stehen sie vor der Tür. Dahinter warten ihre "Mitspieler". Bei jedem Termin sind es die gleichen Erwachsenen und Kinder, die ein Duo bilden, das allmählich oder sehr schnell eine Beziehung aufbaut.

Alle acht Begleiter-Frauen haben auf einem Stuhl an der Wand Platz genommen. Neben ihnen steht jeweils ein kleines Tischchen, darauf eine 40 auf 50 Zentimeter große blaue Box, gefüllt mit feuchtem Sand. In der Mitte des Raums reihen sich mehr als zwölf große transparente Kunststoffkisten aneinander: Alle sind gefüllt mit Tausenden kleinen Spielzeugteilen in 100 verschiedenen Varianten: Dinosaurier, Würmer und Spinnen, Prinzessinnen, Bäume und Türme, Soldaten, Fallschirmspringer, Pferde und ein gruseliger Sensenmann - es gibt nichts, was es nicht gibt.

Im Sand ist alles erlaubt

"Du kannst machen, was du willst", mit dieser "Spielanleitung" können die Kinder anfangen, in ihren Sandkisten Bilder zu stellen. Es gibt Kinder, die sind nach wenigen Minuten mit dem fertig, was sie in den Sand zaubern, andere lassen sich Zeit, nehmen Soldaten und Zäune, Kanonen und Spinnen aus dem Vorrat oder füllen die Boxen mit rosa Märchenfiguren und umhüllen das Ensemble mit einem Glitzerstoff, schildert Kistmacher die Sitzungen.

Aber schon in der übernächsten Sitzung kann sich das Bild völlig verändern. Karin Galster hat das erlebt: Zunächst stellte "ihr Kind" strukturierte und fantasievolle Welten. "Und dann gab es ein Bild, das völlig ohne Boden war". Um das Vertrauen, das die Kinder zu ihren Begleitern haben, nicht zu verletzen, schildern die Frauen die Sandbilder nicht detailliert.

Verschwiegenheit gehört zum Konzept, das dem expressiven Sandspiel bewusst einen sehr festen Rahmen gibt. "Verlässlichkeit und Verbundenheit", sagt Antje Gebhardt, Mitarbeiterin der Einrichtung, sei für die Kinder im Hort etwas sehr Wertvolles. "Viele haben ein hohes Aggressionspotenzial, hier ist jeden Tag ein Rennen und Schreien, es gibt Schimpfworte und weitergegebene Konflikte aus dem Alltag". Da tut die Stille beim Sandspiel allen gut.

Nach jeder Einheit nehmen die Erwachsenen Fotos vom Inhalt der Kisten auf und machen sich Notizen, um die Entwicklung ihres Kindes zu dokumentieren. Wichtig sind aber auch die Gespräche mit den Eltern. Vorbehalte gegen die Methoden haben Kistmacher und ihre Kollegen noch nie erlebt: "Sandspiel, das ist positiv besetzt", sagt sie. Und die Väter und Mütter würden zurückmelden, dass ihre Kinder fröhlich aus den Sitzungen kommen. Eine Mutter hat Kistmacher erzählt, dass ihre Tochter nicht mehr nachts ins Bett macht, seit sie im Sand spielt. "Das finde ich ganz wunderbar", freut sich die Initiatorin.

Jutta Olschewski