sozial-Politik

Flüchtlingskinder

Bayerns Großstädte machen Druck auf Seehofer



Nürnberg, Würzburg, München: Mehrere bayerische Großstädte würden gerne wenigstens Kinder aus den unerträglichen Zuständen befreien, die in den griechischen Flüchtlingslagern herrschen. Auch mehrere andere Bundesländer und Sozialverbände wollen Kinder aufnehmen. Doch das Bundesinnenministerium mauert bislang.

Mehrere Großstädte in Bayern würden noch in diesem Winter Kinder und Jugendliche aus den griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen. Sie fordern vom Bundesinnenministerium eine rasche Klärung der Rahmenbedingungen, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab.

Das Ministerium hatte einen für 28. Januar angesetzten Gesprächstermin mit Vertretern des Bündnisses "Seebrücke - Städte sicherer Häfen" aufs Frühjahr verschoben - "aus organisatorischen Gründen", wie das Ministerium auf Anfrage sagte.

Die Städte Würzburg und Nürnberg haben grundsätzlich ihre Bereitschaft erklärt, minderjährige Geflüchtete akut von den griechischen Inseln aufzunehmen. Es gehe darum, "in dieser außerordentlichen Notsituation zu helfen und ein humanitäres Zeichen zu setzen", sagte die Würzburger Sozialreferentin Hülya Düber (parteilos). Auch Nürnberg sei "grundsätzlich bereit, humanitäre Hilfe insbesondere für unbegleitete junge Flüchtlinge im Rahmen der Jugendhilfe zu leisten", sagte der dortige Sozialreferent Reiner Prölß (SPD).

München prüft Aufnahmeplätze

In München entwirft das Sozialreferat derzeit eine Stadtratsvorlage, um die Bereitschaft zur Aufnahme beschließen zu lassen. Nach epd-Informationen könnten die freien Träger der Jugendhilfe - darunter die Innere Mission München - in ihren Einrichtungen etwa 100 Plätze zur Verfügung stellen. Das Sozialreferat begrüße dieses Angebot und prüfe aktuell die städtischen Kapazitäten, sagte Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD).

Wichtig sei jetzt aber vor allem, "wie sich das Bundesinnenministerium in dieser Frage positioniert", so Schiwy. Prinzipiell muss das Ministerium grünes Licht geben, damit Kommunen tatsächlich junge Geflüchtete aufnehmen könnten und die Finanzierung gesichert wäre. Schiwy sagte, sie fände es "höchst problematisch", wenn sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in dieser Frage aus der Verantwortung ziehe.

Ihrem Nürnberger Amtskollegen Prölß zufolge leben in den Lagern geschätzt 4.000 Kinder und Jugendliche ohne Angehörige. Die Auswahl müsste durch das UN-Flüchtlingshilfswerk oder eine anerkannte Organisation laufen. Die EU und die Bundesrepublik seien "dringend gefordert, Hilfsprogramme aufzulegen", sagte er. Als erstes müsse Seehofer die Bereitschaft dazu erklären. Auch aus Würzburg hieß es, zunächst bedürfe es "der Klärung der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen".

Seebrücke will Bundesrat aktivieren

Das Treffen soll laut Innenministerium noch im ersten Quartal 2020 stattfinden. Auf Ebene der EU-Kommission bestehe "Einigkeit, dass es eines gemeinsamen europäischen Ansatzes zur Verbesserung der Situation der unbegleiteten Minderjährigen bedarf", so ein Sprecher. Er verwies darauf, dass die griechischen Lager aktuell mit Hilfsgütern versorgt würden.

Nach epd-Informationen versucht die "Seebrücke"-Initiative aktuell, über den Bundespräsidenten und den Bundesrat möglicherweise eine schnellere Lösung herbeizuführen. Unterdessen haben auch mehrere Verbände den Innenminister aufgefordert, eine Aufnahme zuzulassen - darunter das Landeskomitee der Katholiken in Bayern, der bayerische Flüchtlingsrat und Pro Asyl.

Augsburg hingegen hat eine Beteiligung an der Seebrücke-Initiative 2018 abgelehnt. "Auch die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge allein auf kommunaler Ebene" aus griechischen Lagern sei nicht geplant, teilte Bürgermeister Stefan Kiefer (SPD) mit. Dies würde "eine ganze Reihe ungeklärter Fragen und sozialpolitischer Diskussionen in einer finanzschwachen Stadt aufwerfen". Eine bundesweite Umverteilung deutscher Flüchtlingskontingente würde Augsburg selbstverständlich wie bisher mittragen.

Mehrere Lände aufnahmebereit

Auch aus anderen Bundesländern, wie etwa Baden-Württemberg, Thüringen und Berlin gibt es die erklärte Bereitschaft, Kinder aufzunehmen. So will etwa Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) trotz der Ablehnung durch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) weiter an seinen Plänen festhalten, Flüchtlingskinder aus Griechenland nach Deutschland zu holen.

"Wir sind da definitiv noch dran, auch wenn viele sagen, man könne nicht allen helfen", sagte Pistorius am 27. Januar der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Es gehe "lediglich um ein paar Kinder". Allerdings sei ein niedersächsisches Landesaufnahmeprogramm aufgrund der ablehnenden Haltung des Bundesinnenministeriums nicht möglich.

Berlin ist ebenfalls für die Aufnahme

Berlin wolle 70 Kinder aufnehmen, sagte Bürgermeister Michael Müller (SPD). Er erinnerte jüngst daran, dass Berlin Mitglied im Städteverbund "Sichere Häfen" sei. Die Initiative setzt sich für die Aufnahme von Bootsmigranten in Deutschland ein. "Dazu stehen wir und sind bereit, zu helfen. Das gilt insbesondere für jene, die ohne ihre Eltern auf der Flucht und daher ganz besonders schutzbedürftig sind."

Die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege München (ARGE) kritisierte die Ablehnung des Bundestags, minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aus humanitären Erwägungen in Deutschland aufzunehmen. Mehr als 120 Kommunen hatten sich im Bündnis "Sichere Häfen" bereiterklärt, besonders schutzbedürftige geflüchtete Kinder und Jugendliche aufzunehmen.

Andrea Betz, Sprecherin der Münchner Wohlfahrtsverbände: "Vor dem Elend, das in Griechenland passiert, dürfen auch wir in München nicht die Augen verschließen." "Kinder haben ein elementares Recht auf Gesundheit, Fürsorge, Bildung und Schutz vor Gewalt." Dies alles erfolge in den griechischen Lagern nicht oder nur höchst unzureichend. Sie begrüßte es, dass München als Mitglied im Bündnis "Sichere Häfen" sich bereit erklärt hat, unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen.

Christine Ulrich


Mehr zum Thema

Mehrzahl der Anträge auf Familiennachzug aus Griechenland scheitern

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat im vorigen Jahr den Großteil der Anträge auf Familiennachzug von Flüchtlingen aus Griechenland abgelehnt. Zwischen Juni und Dezember 2019 wurden von 747 Anträgen 539 negativ beschieden, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage der Linken-Politikerin Gökay Akbulut hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.

» Hier weiterlesen