

Bonn (epd). Der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe führt mit Erfolg Flüchtlinge an die Ausbildung in der Pflege heran. Wichtiger Baustein des Konzepts: die durchgehende Bildungskette. Welche Idee dahinter steckt, verrät die Leiterin des Bereichs Integration und Sprache, Birgit Schierbaum, im Interview. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Frau Schierbaum, ihr Verein führt auch Flüchtlinge gezielt an die Altenpflege heran. Ein Baustein ihres Erfolges ist das Angebot ununterbrochener Bildungsketten. Was ist der Plan dahinter?
Birgit Schierbaum: Um das zu erklären, muss ich erst mal unsere Arbeit vorstellen. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der auch Träger eines Fachseminars für Altenpflege ist. Noch, muss man sagen, denn ab dem nächsten Jahr, wenn die generalistische Pflegeausbildung kommt, werden wir eine Pflegeschule sein und Pflegefachmänner und Pflegefachfrauen sowie wahlweise Altenpflegefachkräfte ausbilden. Momentan bieten wir noch die dreijährige Altenpflegeausbildung und die einjährige Altenpflegehilfeausbildung an. Darüber hinaus gibt es verschiedene Weiterbildungen im Gesundheits- und Pflegebereich für Fachkräfte.
epd: Wie viele Plätze bieten Sie an?
Schierbaum: Im Moment haben wir 400 Auszubildende hier bei uns im Haus. Pro Klasse sind das zwischen 20 und 25 Plätze. Das sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund mittlerweile auch einige geflüchtete Menschen. Wir unterrichten Männer und Frauen und haben auch in Bezug auf Alter und Herkunft der Teilnehmer eine große Bandbreite. Manche sind Umschüler und haben zuvor einen anderen Beruf gelernt und ausgeübt.
epd: Und speziell für Flüchtlinge gibt es andere Angebote?
Schierbaum: Ja. Wir haben etwa 100 Personen, fast alles geflüchtete Menschen, bei uns, die gerne in der Pflege arbeiten möchten und schon eine konkrete Vorstellung von ihrer beruflichen Zukunft haben. Wir versuchen, diese Menschen so gut es geht und möglichst lückenlos zu begleiten. Dabei geht es um Sprache, um Orientierung, aber auch um einfache Unterstützung in verschiedenen Bereichen, etwa bei Behördengängen.
epd: Und es gibt Sprachschulung...
Schierbaum: Ja, ganz wichtig ist hier, Sprache zu vermitteln, das ist die Basis für alle weiteren Schritte, die dann folgen. Wir haben A1-Kurse, auch A2-Kurse. Das ist aber keine Vorqualifizierung für die Pflege. Pflegespezifisches Vokabular kommt erst ab dem Niveau B1. Da sitzen dann bereits Leute in den Kursen, die wissen, welchen Weg sie in der Pflege gehen wollen.
epd: Welche Philosophie steckt hinter dieser Angebotsstruktur?
Schierbaum: Wir wollen Menschen eine Chance geben. So bieten wir die komplette Bildungskette vom ersten Sprachunterricht über den Hauptschulabschluss, den man zwingend für den Start einer Pflegeausbildung braucht, über die eigentliche Ausbildung bis hin zu anschließenden speziellen Qualifizierungen an. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
epd: Ist das einer der Erfolgsfaktoren?
Schierbaum: Ja, sicher. Sehr wichtig ist uns und den Flüchtlingen eine kontinuierliche Betreuung über mehrere Jahre. Die Menschen brauchen oft eine sehr aufwendige Begleitung. Und wir können in vielen Situationen, die gar nichts mit der Ausbildung zu tun haben, helfen, weil wir vor Ort gut vernetzt sind. Die Sache ist einfach: Leute, die bei uns einen Sprachkurs gemacht haben und sich wohlgefühlt haben, können einfach hier bleiben. Sie können hier im Haus den Hauptschulabschluss machen und dann noch in die Ausbildung wechseln.
epd: Auf welchen Wegen kommen Flüchtlinge, die in die Pflege wollen, zu ihnen?
Schierbaum: Wir haben ein gutes Netzwerk und pflegen den engen Austausch mit den Jobcentern, Integration Points, Flüchtlingsinitiativen oder Ehrenamtler, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind. Sie vermitteln Kontakte und schicken Personen zu uns. Ganz wichtig ist es, dass es, wie etwa bei den Sprachkursen, kostenlose Angebote für Geflüchtete gibt.
epd: Wie geht es dann hausintern weiter?
Schierbaum: Wir besprechen regelmäßig die weiteren Schritte mit den Teilnehmern. Dabei wird auch geklärt, welche beruflichen Perspektiven sich auftun. Sofern sinnvoll und notwendig, vermitteln wir die Teilnehmer in den hausinternen Hauptschulkurs oder wir unterstützen sie bei der Anerkennung vorhandener Bildungs- und Berufsabschlüsse. Ein Wechsel zu anderen Bildungsträgern ist auch möglich, aber eher selten. Die meisten Geflüchteten sind sehr froh, hier bleiben zu können, wo ihnen alles bekannt ist und wo sie sich wohlfühlen.
epd: Ohne einen Hauptschulabschluss kommt ein Flüchtling nicht in eine Pflegeausbildung?
Schierbaum: Das stimmt. Das ist die Mindestvoraussetzung für alle Bewerber. Für die dreijährige Ausbildung braucht man den Hauptschulabschluss nach zehn Jahren. Wenn nur der Hauptschulabschluss 9 vorliegt, müssen die Teilnehmer eine einjährige Pflegehelferausbildung vorschalten. Es gibt Flüchtlinge, die in ihrer Heimat Abitur gemacht haben und nun noch mal in die Schule müssen, um den Hauptschulabschluss zu bekommen, weil beispielsweise ihre Zeugnisse verloren gegangen sind.
epd: Das kostet Zeit.
Schierbaum: Sicher, aber es führt zum Erfolg. Die meisten Personen, die die Hauptschulabschluss haben, gehen dann in die einjährige Helferausbildung und anschließend für drei Jahre in die Altenpflegeausbildung. Das ist die ideale Laufbahn: Erst Sprache lernen, dann pflegespezifische Sprache lernen, dann Schulabschluss und dann die Ausbildung. Dazu kommen bei Bedarf immer die passenden Begleitseminare. Außerdem bieten wie Schnuppertage an, um den Alltag in der Pflege kennenzulernen. Und wir haben auch ein Mentorenprogramm, in dem Auszubildende die Flüchtlinge eng begleiten und sie auch in ihre Einrichtungen mitnehmen.
epd: Wie nehmen Flüchtlinge überhaupt die professionelle Pflege in Deutschland wahr?
Schierbaum: Viele, die zum ersten Mal in einem Pflegeheim sind, sind meist völlig überrascht. Positiv überrascht, um genau zu sein. Denn viele, egal ob Frauen oder Männer, kennen Pflegeheime aus ihrer Heimat in der Regel nicht. In Afrika etwa ist die Versorgung der alten Menschen Sache der nächsten Generation. Folglich gibt es da weder Heime noch ambulante Dienste. Altenpflege wird in der Familie gemacht. Viele haben also keine Vorstellung, wie Pflege hier bei uns aussieht und welche Anforderungen sie an das Personal stellt. Einige Flüchtlinge haben gestaunt, dass die Heimbewohner hier alle ein eigenes Zimmer haben.
epd: Wie würden Sie die Personengruppe der Flüchtlinge beschreiben, die in die Pflege wollen. Wie nehmen Sie sie wahr?
Schierbaum: Ganz unterschiedlich. Einige haben in ihrer Heimat bereits Erfahrungen in der Krankenpflege gemacht und wissen, welchen Weg sie gehen möchten. Andere wollen so schnell wie möglich Geld verdienen, zum Beispiel in niedrig qualifizierten Helferjobs, weil sie in der Heimat noch Familie haben, die sie finanziell unterstützen möchten. Für diese Menschen ist ein Einstieg in die Pflege eher nicht passend, denn der Weg dorthin über Sprache, Schulabschluss und Ausbildung ist ja doch relativ lang.
epd: Und die andere Gruppe?
Schierbaum: Es gibt sehr viele Geflüchtete, die mich immer wieder beeindrucken, weil sie so wissbegierig sind, weil sie erkannt haben, dass ihre Integration sehr wichtig ist, wenn sie länger hier leben wollen. Ihnen ist dann auch klar, dass sie ohne eine anerkannte Ausbildung kaum in der Lage sind, eine Familie zu versorgen. Das sind oft Personen, die schon in ihrer Heimat eine gute schulische oder berufliche Ausbildung hatten, manchmal aber auch Menschen, die in ihrem Herkunftsland keine Chance hatten, eine Schule zu besuchen.
epd: Wie stellen sie sich in der praktischen Arbeit während der Ausbildung an?
Schierbaum: Mir wird immer wieder bestätigt, dass sie sehr wertschätzend mit den alten Menschen umgehen. Alte Menschen haben in vielen Kulturen einen hohen Stellenwert. Und so begegnen sie ihnen dann auch. Und das kommt natürlich bei den Heimbewohnern gut an.
epd: Kommen die nötigen Informationen etwa über das Berufsfeld Pflege überhaupt bei den Flüchtlingen an?
Schierbaum: Ganz früh, also in den Erstaufnahmestellen, sicher nicht. Das wäre wohl auch gar nicht sinnvoll. Die Leute sind dort zunächst mit ganz anderen Dingen befasst und müssen sich erstmal zurechtfinden. Das ist für alle eine schwierige Situation. Ich denke aber, spätestens in der Einrichtung, in die sie dann kommen, sollte es erste Informationen über Sprachkurse, Schulbesuch oder auch mögliche Ausbildungen geben. Immer unter der Voraussetzung, dass man sich verständigen und das alles richtig vermitteln kann. Ich sage es noch einmal: das Wichtigste, die Basis für alles, ist die Sprache. Die zu vermitteln, das passiert meiner Meinung nach, immer noch viel zu wenig, insbesondere bei jungen Müttern.
epd: Haben denn die Sprachkurse die richtigen Inhalte?
Schierbaum: Im Prinzip ja. Es geht ja erst einmal um die Verständigung und das Zurechtfinden im Alltag. Aber dann sollte Sprache auch im beruflichen Kontext vermittelt werden. Wer zum Beispiel in die Pflege will, braucht einen Hauptschulabschluss. Das heißt, er muss auch in den Naturwissenschaften fit sein, muss auch Mathematik beherrschen. Das hatte man anfangs in den Kursen überhaupt nicht auf dem Schirm.
epd: Was ließe sich aus Ihrer Sicht weiter verbessern, um noch mehr Flüchtlinge für einen Job in der Pflege zu gewinnen?
Schierbaum: Es ist wichtig, dass das öffentliche Bewusstsein dafür wächst, dass wir schon jetzt einen hohen Fachkräftebedarf haben, nicht nur in der Pflege. Und wir haben viele Menschen, die arbeiten möchten, aber den Weg dorthin für sich noch nicht gefunden haben. Ihnen fehlt die qualifizierte Unterstützung. Hier muss man ansetzen. Dann bekämen auch Menschen mit Fluchthintergrund die Möglichkeit, eine gute Beschäftigung zu finden. Sie brauchen möglichst frühzeitig Beratung und Unterstützung. Dann, da bin ich mir sicher, tun sich auf dem Feld Pflege viele Möglichkeiten für sie auf. Und das hilft allen: Unserer Gesellschaft im Ganzen und den Menschen, die hier Zuflucht gefunden haben.