

Frankfurt a.M. (epd). Sebastian Riebandt, Experte der Koordinierungsstelle für Geflüchtete in Pflege- und Gesundheitsberufen NRW, findet klare Worte: "Das volle Potenzial Geflüchteter in der Pflege ist noch nicht ausgeschöpft." Riebandt, dessen Koordinierungsstelle soziale Einrichtungen dabei unterstützt, geflüchtete Menschen in Heime, ambulante Dienste und Kliniken zu bringen, rät: "Die Ansprache der geflüchteten Menschen auf lokaler Ebene sollte strukturierter und gruppenspezifischer erfolgen." Doch wo brauchen sie welche fachlichen Hilfen? Werden sie überhaupt informiert darüber, dass sich in der Pflege beste Berufsperspektiven bieten?
"Ich kann mich überhaupt nicht beklagen", sagt der Syrer Abdulrahim Sakkal (26). Er wird am Uniklinikum Essen zum Gesundheits- und Krankenpfleger ausgebildet. Davor lag ein 18-monatiger Integrationskurs für Flüchtlinge - angeboten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dem Jobcenter Essen und der Diakonie Essen.
Sakkal sah darin "eine tolle Chance", berichtete er dem Fachblatt "Die Schwester Der Pfleger". Er habe vor allem von der intensiven Sprachschulung profitiert. Zum Kurs gehörte auch eine Praxishospitation an der Uniklinik. Von 25 Kursteilnehmern haben vier weitere die gleiche Ausbildung wie Sakkal begonnen.
"Ich wollte im medizinischen Bereich tätig sein", sagt Sakkal im Gespräch mit der Fachzeitschrift. Er habe auf bereits in Syrien erworbene Kenntnisse aufbauen wollen. Bevor er Ende 2012 fliehen musste, studierte er vier Semester mit dem Ziel, Anästhesie-Assistent zu werden. Die Hälfte der Ausbildung liegt bereits hinter ihm, - "und alles läuft gut", versichert der Syrer.
Elke Strelow, Leiterin der Krankenpflegeschule der Segeberger Kliniken, hat 2018 für eine nicht repräsentative Studie Flüchtlinge, die eine Pflegeausbildung begonnen haben, über ihre Situation befragt. Sie wollte erfahren, ob und wie sie den Weg in eine Pflegeausbildung finden. Und auch, welche Unterstützung die jungen Leute brauchen, damit ihre Integration gelingt. Die Ergebnisse zeigten "Verbesserungspotenziale für die Ausbildungssituation und nachhaltige Integration auf", schreibt Strelow in dem Fachblatt.
"Die Interviews haben gezeigt, dass ein sicheres soziales Gefüge, verbunden mit einer eigenen Wohnung und einer geregelten Beschäftigung, erheblich zur Integration beiträgt", so Strelow. Und: Es brauche vorgelagerte Praktika, um das Berufsfeld kennenzulernen, und eine kontinuierliche Beratung und Begleitung der Azubis. "Um das Sprachniveau zu verbessern, sollte die Teilnahme an Sprachkursen selbstverständlich sein." Und, wenn möglich, sollten die Einrichtungen Nachhilfeunterricht anbieten, um die Lernfortschritte zu sichern.
Valide Daten über die Zahl der Flüchtlinge, die bereits in der Pflege tätig sind oder eine Ausbildung begonnen haben, gibt es nicht. Denn das Merkmal "Flucht" wird in den Statistiken der Ausländer- oder Arbeitsmarktbehörden nicht erfasst.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will noch mehr Ausländer für den Job in Deutschland interessieren. Sein Haus wirbt zurzeit offensiv um solche Fachkräfte und hat dazu jetzt die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) ins Leben gerufen, die sich um Anträge für Visa, Berufsanerkennung und Arbeitserlaubnis kümmern soll. Pflegekräfte aus dem Ausland sollen so binnen sechs Monaten in Deutschland arbeiten können. Die Bundesregierung bemüht sich um Erleichterungen für wichtige Herkunftsländer wie Mexiko, die Philippinen und das Kosovo, um mehr Pflegekräfte für Deutschland zu gewinnen.
Diese Strategie findet keineswegs nur Zuspruch. Der Deutsche Pflegerat hält es für keine gute Lösung, fehlendes Personal aus dem Ausland zu holen. Präsident Franz Wagner fordert, dass vor allem die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal hier in Deutschland signifikant verbessert werden müssten. "So könnte man viele deutsche Schwestern und Pfleger, die zum Teil aus Erschöpfung in Teilzeit arbeiten oder sich aus Frust beruflich neu orientiert haben, zurückgewinnen." Er gibt außerdem zu bedenken, dass in den Heimatländern durch massenhafte Abwerbung plötzlich Pflegekräfte fehlen könnten, um die eigene Bevölkerung zu versorgen.
Isabell Halletz, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Ausländische Pflegekräfte, betont: "Wichtig ist, dass ausländische Pflegekräfte auf ihren künftigen Arbeitsort vorbereitet werden. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist der Schlüssel für gute Arbeit und die Integration."
Auch die Arbeitgeber in Deutschland müssten auf die Betreuung der Ausländer vorbereitet werden, zum Beispiel mit Führungskräftetrainings für die Leitung internationaler Teams, interkulturelle Schulungen der Mitarbeiter und Informationen an die Pflegebedürftigen. Und: "Integrationsbeauftragte müssen in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern ausgebildet und finanziert werden, die auch Ansprechpartner für neue deutsche Pflegekräfte sein können."
Der Deutsche Caritasverband sieht die Anwerbung von Pflegekräften im Nicht-EU-Ausland ebenfalls kritisch. Man sollte nicht "spätkolonialistische Attitüden" an den Tag legen nach dem Motto "Hauptsache, wir in Deutschland sind versorgt", sagt Präsident Peter Neher. Stattdessen müssten Bedingungen geschaffen werden, die es Menschen ermöglichten, länger im Pflegeberuf zu bleiben oder wieder dorthin zurückzukehren.
Bei den Flüchtlingen ist die Ausgangslage eine andere. Die Menschen sind vor Krieg und Terror geflüchtet - und werden nicht selten über Jahre oder auf Dauer in Deutschland leben. Schon deshalb ist es den Fachleuten zufolge ratsam, möglichst viele dieser jungen Menschen für den Pflegejob zu begeistern.
Sebastian Riebandt betont, dass es Interessierten möglich sein muss, sich auf einer guten und ehrlichen Informationsgrundlage zu entscheiden. Ist das geschehen, dann kommt es dem Fachmann zufolge ganz wesentlich "auf die Unterstützungsmöglichkeiten an, die den Ausbildungserfolg sichern" und Abbrüche vermeiden helfen. Das könnten Sprachkurse oder sozialpädagogische Hilfsangebote sein. Denn: "Sprache ist entscheidend, um im Berufsalltag gut zurechtzukommen - das wird leider oft vergessen."
Riebandt betont aber auch: "Weder Geflüchtete noch angeworbene Pflegepersonen aus dem Ausland können unsere personellen Probleme lösen. Abmildern können sie sie sicherlich, wenn Integration und Anwerbung im Rahmen einer durchdachten Gesamtstrategie stattfinden."
Wie das gezielte Heranführen von Flüchtlingen an Jobs in der Pflege mit Erfolg gelingt, zeigt der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe. Birgit Schierbaum, Leiterin Integration und Sprache, erläuterte dem epd den Ansatz des Vereins: "Wir wollen Menschen eine Chance geben. So bieten wir die komplette Bildungskette vom ersten Sprachunterricht über den Hauptschulabschluss, den man zwingend für den Start einer Pflegeausbildung braucht, über die eigentliche Ausbildung bis hin zu anschließenden speziellen Qualifizierungen an. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht."
Entscheidend sei die kontinuierliche Betreuung über mehrere Jahre hinweg, betont die Fachfrau. "Die Menschen brauchen oft eine sehr aufwendige Begleitung. Und wir können in vielen Situationen, die gar nichts mit der Ausbildung zu tun haben, helfen, weil wir vor Ort gut vernetzt sind." Die Sache sei einfach: "Leute, die bei uns einen Sprachkurs gemacht haben und sich wohlgefühlt haben, können einfach hier bleiben. Sie können hier im Haus den Hauptschulabschluss machen und dann noch in die Ausbildung wechseln."
Schierbaum hofft, dass in der Öffentlichkeit das Bewusstsein wächst, dass man den Fachkräftemangel gezielt begegnen muss, und zwar nicht nur in der Pflege. "Wir haben viele Menschen, die arbeiten möchten, aber den Weg dorthin für sich noch nicht gefunden haben. Ihnen fehlt die qualifizierte Unterstützung. Hier muss man ansetzen." Dann bekämen auch Menschen mit Fluchthintergrund die Möglichkeit, eine gute Beschäftigung zu finden. "Sie brauchen möglichst frühzeitig Beratung und Unterstützung. Dann, da bin ich mir sicher, tun sich auf dem Feld Pflege viele Möglichkeiten für sie auf."