sozial-Recht

Bundessozialgericht

Kein Vorrang für Alternativmethoden bei tödlicher Krankheit



Die Krankenkasse muss bei schweren oder tödlich verlaufenden Krankheiten nicht automatisch für die Kostenübernahme alternativer Behandlungsmethoden einspringen. Bei hohen Risiken der Alternativbehandlung kann auch eine auf Schmerzlinderung und Lebensqualität abzielende Therapie bevorzugt werden, urteilte am 8. Oktober das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Damit muss das Uniklinikum Tübingen im Fall einer Leukämie-Patientin fürchten, auf den Kosten einer Stammzelltransplantation sitzenzubleiben.

Die Patientin wurde zunächst mit Bluttransfusionen behandelt. Im September 2008 wurde dann bei der 74-jährigen Patientin eine Stammzelltransplantation gemacht. 20 Tage später starb sie.

Therapie mit "experimentellem Charakter"

Die Klinik stellte der DAK-Gesundheit die Behandlungskosten für die Stammzelltransplantation in Höhe von knapp 117.000 Euro in Rechnung. Der Betrag wurde zunächst gezahlt.

Doch nach Einholung eines Gutachtens machte die Kasse einen Rückzieher. Es bestehe kein Leistungsanspruch, da die Behandlung einen "experimentellen Charakter" hatte und nur innerhalb einer klinischen Studie hätte erfolgen dürfen.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg gab der Klage des Uniklinikums statt und begründete das Urteil mit dem sogenannten Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005. Danach müssen Krankenkassen auch nicht anerkannte Heilmethoden bezahlen, wenn es eine "nicht ganz entfernt liegende Aussicht" auf Heilung oder Linderung besteht und eine anerkannte Alternativbehandlung nicht zur Verfügung steht.

Das BSG hob das LSG-Urteil jedoch auf und verwies den Rechtsstreit zurück. Auch bei lebensbedrohlichen Krankheiten leite sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ein Anspruch auf jegliche Behandlung ab, erklärten die obersten Sozialrichter.

Hier habe ein besonders großes Sterberisiko bestanden. Es habe bei der Operation bei 30 Prozent und das Risiko eines tödlichen Rückfalls bei 35 Prozent gelegen. Weise der kurative Behandlungsansatz jedoch solch ein hohes Sterberisiko auf, müsse geprüft werden, ob nicht ausnahmsweise eine Palliativbehandlung "einen zeitlich größeren Überlebensvorteil eröffnet".

Über die Möglichkeiten und Risiken beider Wege müsse die Klinik umfassend aufklären, so das BSG. Das LSG müsse daher nun Feststellungen treffen, ob eine Palliativbehandlung vorrangig gewesen wäre und ob die Patientin in die Stammzelltransplantation überhaupt wirksam eingewilligt hatte.

Az.: B 1 KR 3/19 R

Az.: 1 BvR 347/98 (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts)