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Interview

Hofmann: "Verfasste Kirche muss Diakonie verstehen"




Beate Hofmann
epd-bild/Andreas Fischer
Angesichts geringer werdender Mitgliederzahlen sollte die evangelische Kirche nicht an alten Bildern von Kirche festhalten, mahnt die künftige Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann.

Die künftige Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, ist trotz Mitgliederschwundes davon überzeugt, dass die Gesellschaft den Kirchen "im Blick auf Diakonie, auf sozialen Zusammenhalt, auf Wertevermittlung eine ganze Menge zutraut". Hofmann ist seit 2013 Professorin für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement an der kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Sie wird am 29. September in Kassel in ihr Bischofsamt eingeführt. Mit Beate Hofmann sprachen Christian Prüfer und Wolfgang Weissgerber.

epd sozial: Frau Hofmann, Sie werden die erste Frau an der Spitze der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sein. Motiviert Sie das besonders oder ist das eher eine Belastung?

Beate Hofmann: Es ist eine Chance, dieses Amt neu zu gestalten. Es sichert mir vielleicht ein bisschen mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Ich habe viel über Frauen in Führung nachgedacht. Jetzt mache ich das, worüber ich geforscht habe, auch selbst.

epd: Sie kommen ja aus der Diakonie. Welche Rolle sollte Diakonie in der Kirche spielen? Sehen Sie da Verbesserungsbedarf?

Hofmann: Für wen?

epd: Sowohl für die Kirche als auch für die Diakonie.

Hofmann: Für mich ist Diakonie eine Gestalt von Kirche. So wird sie auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Von daher finde ich es wichtig, dass die verfasste Kirche versteht, warum Diakonie so ist, wie sie ist, und vor welchen Herausforderungen sie steht. Dazu gehört, nach Wegen zu suchen, Verknüpfungen mit der Zivilgesellschaft und damit auch in die Kirchengemeinden zu stärken.

epd: Haben sie denn den Eindruck, dass Kirche nicht immer ganz versteht, dass Diakonie ein Teil ihrer selbst ist?

Hofmann: Es gibt viele Vorbehalte: dass Diakonie zu ökonomisch orientiert sei, dass sie zu unternehmerisch oder zu säkular agiere. Das ist nicht erst seit heute so, sondern seit 150 Jahren, und das hängt auch mit der Geschichte der Diakonie zusammen, die nicht als Teil der verfassten Kirche entstanden ist, sondern in Form von Vereinen freier Bürgerinnen und Bürger, die ihrem christlichen Glauben Ausdruck geben wollten.

epd: Das Thema Diakonie ist bei Ihnen offenbar gesetzt. Ihr Vorgänger Martin Hein war stark beim Thema Ethik und in der Ökumene engagiert. Wo wollen Sie weitere Schwerpunkte setzen?

Hofmann: Darüber habe ich in den vergangenen Wochen natürlich nachgedacht, aber zunächst will ich diese Kirche genauer kennenlernen und verstehen, welche Schwerpunkte sich ergeben im Blick auf die Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, auf das Land Hessen, auf die EKD oder auch auf die Ökumene. Ein Viertel der Bischöfinnen und Bischofe in Deutschland wird in diesem Jahr neu gewählt. Das heißt, dass innerhalb der EKD Aufgaben neu verteilt werden. Es ist sinnvoll, dass das nach Talenten und Interessen geht und nicht nach dem Motto: Das hat der Vorgänger gemacht, das muss die Nachfolgerin auch machen. Dass ich das Thema Diakonie mitbringe, liegt nahe. Es wäre merkwürdig, wenn ich da nicht auch weiter einen Schwerpunkt setzen würde.

epd: Der Mitgliederschwund bei den Kirchen hält an. Kann diese Entwicklung gestoppt oder zumindest verlangsamt werden?

Hofmann: Traditionelle Organisationen verlieren an Bindungskraft. Menschen orientieren sich nicht mehr so stark an Vereinen, Parteien, Gewerkschaften und eben auch nicht an den Kirchen. Sie überlegen sehr genau, was sie von einer Mitgliedschaft haben. Es ist natürlich ein großer Wunsch, aber vermutlich eine unrealistische Hoffnung, das komplett umzudrehen. Die Frage ist, wie wir angesichts dieses Trends versuchen, Kirche zu leben und nicht zu resignieren, sondern zu zeigen, wofür Kirche da ist und warum es sinnvoll sein könnte, sich da zu engagieren.

epd: Haben die Kirchen etwas falsch gemacht, wenn die Menschen ihnen den Rücken kehren? Und wenn ja, was?

Hofmann: Es ist eben ein Trend, den alle Institutionen spüren. Insofern sind wir nicht alleine "schuld". Die Frage ist, ob wir in der Lage sind, schnell und flexibel genug darauf zu reagieren. Ein Fehler wäre es aber, an den alten Bildern von Kirche festzuhalten und zu sagen, alles muss so bleiben wie bisher.

epd: Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat vorgeschlagen, bei jungen Leuten die Kirchenmitgliedschaft ruhen zu lassen oder Kita-Plätze bevorzugt an Mitglieder zu vergeben. Was halten Sie davon?

Hofmann: Die bevorzugte Vergabe von Kita-Plätzen an Mitglieder finde ich schwierig, denn dieses Angebot ist auch Teil diakonischer Arbeit, und die darf nicht nach Mitgliedschaft gehen, sondern nach Bedürftigkeit. Da gibt es auch gesetzliche Auflagen.

epd: Das weiß auch Volker Jung.

Hofmann: Natürlich, aber eine Diakonie vorrangig für Mitglieder würde dem Evangelium widersprechen. Im Übrigen ist die Kirchensteuer auch eine gesellschaftspolitische Frage. Die Gesellschaft traut uns als Kirche eine ganze Menge zu im Blick auf Diakonie, auf sozialen Zusammenhalt, auf Wertevermittlung. Gleichzeitig schwindet die Solidarität, die die finanzielle Grundlage schafft. Der Kirche zu sagen: Mach es, aber bezahlen wollen wir dafür nicht - das wird auf Dauer nicht funktionieren. Wenn die Menge der Kirchensteuerzahler eine kritische Größe unterschritten hat, muss man darüber nachdenken, ob man da auch politisch andere Möglichkeiten nutzt.

epd: Wenn das Materielle eine so große Rolle spielt - was sagen Sie den Menschen, warum es sich auch darüber hinaus lohnt, der Kirche anzugehören?

Hofmann: Weil ich Teil einer Gemeinschaft bin, die miteinander überzeugend Christsein lebt und in der Gottes Wort verkündigt wird. Weil ich in Stille, in Musik, in Gebet, im Dialog Gott und anderen Menschen begegnen kann. Weil ich Teil einer Gemeinschaft bin, die sich solidarisch für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt und für die Bewahrung der Schöpfung. Und weil selbst da, wo einer sagt, ich brauche kirchliche Gemeinschaft im Moment nicht, die Mitgliedschaft trotzdem ein Weg ist, dafür zu sorgen, dass diese Angebote wahrgenommen werden können. Viele Menschen sagen: Gut, dass es die Kirche gibt. Ich möchte sie unterstützen, auch wenn ich sie im Moment nicht aktiv nutze. Und dafür, dass ich sie bei Bedarf nutzen kann, ist es mir auch wert, diesen Solidarbeitrag zu bezahlen.

epd: Wo sehen sie die Kirchen angesichts von Mitgliederschwund und sinkenden finanziellen Mitteln in zehn Jahren?

Hofmann: Da hat die kurhessische Kirche schon sehr klare Antworten mit ihrem Reformprozess 2026 gegeben. Aber wer denkt, damit ist es erledigt, träumt ein bisschen. Welche Felder können personell wie ausgestattet werden, was machen wir hauptberuflich, was machen wir ehrenamtlich, was entwickeln wir neu, was lassen wir bleiben - das sind immerwährende Fragen. Ich wünsche mir, dass die Kirche in zehn Jahren weiterhin als eine vielfältige, lebendige, diakonisch engagierte Kirche wahrgenommen wird.