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Obdachlosigkeit

Mit Google Maps Platte machen




Obdachloser mit Smartphone
epd-bild/Rolf Zöllner
Obdachlose besitzen so gut wie nichts. Und das führen sie meist mit sich. Inzwischen gehört dazu auch ein Smartphone. Damit lebt es sich leichter auf der Straße, sagen sie. Sie fordern deshalb Zugang zu kostenlosem WLAN und zu Ladestationen.

Er ist mehrmals schon durch Deutschland gereist, erzählt Sven Kerber (Name geändert). In Hamburg, Frankfurt und Nürnberg lebte er auf der Straße. Zehn Jahre ist es her, dass der heute 25-Jährige erstmals auf Tour ging. Schlafplätze auszuchecken, war damals mühsam gewesen, berichtet der Punk. Vor sechs Jahren schenkte ihm dann jemand ein Smartphone. Danach war vieles leichter: "Als ich zum ersten Mal in Frankfurt war, suchte ich mit Hilfe von Google Maps einen Schlafplatz im Park."

Ohne Smartphone - kaum vorstellbar

Inzwischen hat Sven Kerber in der Nähe von Würzburg ein Quartier gefunden: "Das wird vom Sozialamt bezahlt." Trotzdem ist der psychisch kranke und deshalb berufsunfähige junge Mann noch viel mit Rucksack und Hund unterwegs. Sich ohne Smartphone durchzuschlagen, könnte er sich nicht mehr vorstellen. Wer ständig draußen lebt, verletzt sich leicht: "Dann muss man schnell herausfinden können, wo der nächste Arzt ist." Beruhigend sei es auch, sich über soziale Medien mit Freunden verbunden zu wissen. Denn es passiert ständig etwas: "Einmal wurde mir mein Schlafsack, den ich als Kissen benutzt habe, unterm Kopf weggeklaut, einmal griffen mich Nazis an."

Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen fordert, Wohnungslosen kostenlos PCs, Tablets und Smartphones zur Verfügung zu stellen. Vor allem bräuchten Menschen ohne Wohnung Zugang zu WLAN und Strom. "Oft hat man das nicht", sagt Jürgen Schneider, 56 Jahre alter Wohnungsloser, der sich in der Selbstvertretung engagiert. Zwar gebe es Beratungsstellen und Wärmestuben mit PC und Internet-Zugang, "aber in Notschlafstätten ist das noch selten".

Durch ein Smartphone wären die Tagesabläufe einfacher, meint Schneider, der seit vielen Jahren kein Zuhause mehr hat: "Man findet schneller Stellen zum Schlafen, zum Tagesaufenthalt oder zur Beratung."

Digitale Inklusion von Wohnungslosen

Durch die Digitalisierung öffnen sich neue Wege, um obdachlose Menschen besser zu unterstützen. Davon gehen Wissenschaftler vom Institut für E-Beratung an der Technischen Hochschule Nürnberg aus. Im August starteten sie, gefördert vom Bundesforschungsministerium, das Projekt "Smart Inklusion für Wohnungslose" (SiWo). Bis 2022 will ein Team aus Sozialwissenschaftlern, Informatikern und Ingenieuren Lösungen zur digitalen Inklusion von Wohnungslosen entwickeln. Projektpartner sind das Nürnberger Sozialwerk sowie das Sozialmagazin "Straßenkreuzer".

Digitale Technik ist für Obdachlose heute unentbehrlich, findet die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe. "Schließlich verändert die Digitalisierung das Leben auf allen Ebenen", sagte Fachreferentin Sabine Bösing dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch sie plädiert dafür, Wohnungslosen Zugänge zu sozialen Medien zu schaffen. Die BAG fordert außerdem den Ausbau des öffentlichen WLAN sowie frei zugängliche Auflademöglichkeiten in öffentlichen Einrichtungen. Außerdem müsste es mehr Internet-Schulungen für Wohnungslose geben.

Durch ihre eigenen Angebote bekommt die BAG mit, dass viele Wohnungslose bereits online sind: "Sie treten über ein Formular auf unserer Internetseite mit uns in Kontakt." Diese Möglichkeit werde ebenso "rege genutzt" wie das "Wo+Wie-Onlineportal" der BAG Wohnungslosenhilfe, auf dem Hilfsangebote zu finden sind. Viele Obdachlose sind laut Bösing auch auf Facebook aktiv.

Internet für Obdachlose "elementar wichtig"

In welchem Maße digitale Medien von Wohnungslosen genutzt werden, das erforscht gerade Kai Hauprich von der Hochschule Düsseldorf in seiner Promotionsarbeit. Viele Bürger vermuteten, dass die meisten Wohnungslosen kaum internetaffin sind, sagt der junge Wissenschaftler. Doch das sei falsch: "Nahezu alle Obdachlosen nutzen das Internet", weiß er aus einer Erhebung, an der mehr als 100 Wohnungslose teilnahmen. Das Internet werde von ihnen als "elementar wichtig" empfunden. Denn sie fühlten sich damit sicherer und besser integriert.

Sich digitalen Zugang zu verschaffen, sei für Wohnungslose jedoch immer noch schwer, fand Hauprich heraus: "Die Sozialarbeit stellt noch nicht ausreichende Hilfsstrukturen zur Verfügung." Wohnungslose müssten äußerst findig sein, um ihr Bedürfnis nach digitaler Teilhabe zu erfüllen. "Sie besorgen sich zum Beispiel in Pfandleihen gebrauchte Handy-Geräte, die sie mit Prepaid-Karten ausländischer Anbieter ausstatten, da niemand ihnen einen festen Handyvertrag gewährt", schildert Hauprich. Letzteres deswegen, weil die Betroffenen keine feste Adresse und nicht selten Schufa-Einträge haben.

In Bibliotheken ist es auch Wohnungslosen möglich, ins Web zu kommen. Darauf verweist Kristin Bäßler vom Deutschen Bibliotheksverband. Immer mehr öffentlichen Büchereien bieten nach ihrer Kenntnis kostenlos WLAN an. Dass Bibliotheken Orte für digitale Teilhabe werden, dafür setzt sich der Bibliotheksverband ein. "Der freie Zugang zu Bildung, zu Information und Kultur ist ein grundlegendes Recht aller Menschen, egal ob mit oder ohne Wohnung", betont die Sprecherin des Verbandes.

Pat Christ


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