sozial-Recht

Oberlandesgericht

Keine unbegrenzt lebensverlängernde Therapie für Demenzkranke




Mundpflege bei einem Patienten.
epd-bild/Werner Krüper
Wenn der Wille eines schwerst demenzkranken Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen nicht bekannt ist, muss der behandelnde Arzt auch deren Abbruch in Betracht ziehen. Das hat das Oberlandesgericht München entschieden.

Denn verlängert eine künstliche Ernährung nur noch das Leiden des nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten, muss der Arzt zumindest mit Angehörigen und Betreuer über ein Ende der Maßnahme reden, entschied das Oberlandesgericht (OLG) München. Das Gericht sprach damit dem Sohn als Erben eines mittlerweile verstorbenen Demenzkranken 40.000 Euro Schmerzensgeld zu. epd sozial hatte am 12. Januar 2018 erstmals über das Urteil berichtet, nun wurden am 15. November die schriftlichen Urteilsgründe veröffentlicht.

Im konkreten Fall ging es um einen in einem Pflegeheim lebenden schwerst demenzkranken Mann. Weil er sich nicht mehr selbst ernähren konnte, wurde 2006 eine dauerhafte künstliche Ernährung veranlasst und eine Magensonde gelegt. Weder lag eine Patientenverfügung für den unter Betreuung stehenden Mann vor, noch war sein mutmaßlicher Wille zu lebensverlängernden Maßnahmen bekannt.

Vater musste unnötig leiden

Als der Demenzkranke im Oktober 2011 starb, verlangte der Sohn des Mannes von dem behandelnden Hausarzt Schadenersatz und Schmerzensgeld. Spätestens ab 2010 sei die Magensonde medizinisch nicht mehr angezeigt gewesen, lautete seine Begründung. Diese habe dann nur noch das krankheitsbedingte Leiden "sinnlos verlängert". Sein bettlägeriger Vater habe bis zum Tod rund 21 Monate massive Gesundheitsbeschwerden wie Inkontinenz, Wundgeschwüre, mehrfache Lungenentzündungen, Fieber und auch Krämpfe gehabt.

Der Hausarzt hätte die Sondenernährung abbrechen müssen, so dass der Vater unter palliativmedizinischer Betreuung hätte sterben können. Mit der Fortführung der künstlichen Ernährung ohne medizinisches Erfordernis liege eine rechtswidrige Körperverletzung vor, so der Kläger.

Der Arzt verteidigte sich. Er berief sich unter anderem auf eine Vertrauensperson des Demenzkranken. Der Patient habe in der Vergangenheit ihr gegenüber zweimal geäußert, dass er "alt werden" wolle. Das lasse den Schluss zu, dass er sein Leben subjektiv noch als lebenswert empfunden habe. Das Entfernen der Magensonde hätte zum damaligen Zeitpunkt auch eine verbotene aktive Sterbehilfe durch Verhungern beziehungsweise Verdursten bedeutet.

Arzt entschied "für das Leben"

Gebe es keinen eindeutigen Patientenwillen, müsse der Grundsatz "in dubio pro vita" – "im Zweifel für das Leben" gelten, betonte der Mediziner. Er habe sich auch auf das Urteil eines Klinik-Facharztes für Neurologie verlassen dürfen, der ebenfalls kein eindeutiges medizinisches Erfordernis zur Beendigung der künstlichen Ernährung gesehen hatte.

Das OLG überzeugten die Argumente nicht. Es sprach dem Sohn als Alleinerben 40.000 Euro Schmerzensgeld zu. Der Arzt habe es versäumt, über die in Betracht kommende Beendigung der lebensverlängernden Maßnahmen und eine rein palliativmedizinische Behandlung vertieft mit dem Sohn und Betreuer zu reden.

Das Gericht verwies unter anderem auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie zur Sondenernährung. Danach ist eine Sondenernährung "in finalen Krankheitsstadien einschließlich finalen Stadien der Demenz sowie zur Pflegeerleichterung oder Zeitersparnis" medizinisch nicht angezeigt. Für final demente Patienten werde die künstliche Ernährung nicht empfohlen. Maßgeblich sei aber im Einzelfall der (mutmaßliche) Patientenwille.

Ernährungsabbruch habe nahegelegen

Wegen des weit fortgeschrittenen Krankheitsverlaufs habe der Abbruch der künstlichen Ernährung Gutachtern zufolge bei dem bettlägerigen Patienten eher nahegelegen, befand das OLG.

Dem Hausarzt habe die Pflicht, sich mit den Angehörigen und Betreuer über den Abbruch der Maßnahme zu verständigen. Gegebenenfalls hätte auch das Betreuungsgericht entscheiden können. Die Aussage des Patienten, als werden zu wollen, reiche allein noch nicht aus, um Rückschlüsse auf den Patientenwillen zu ziehen.

Auch der lebensschützende Grundsatz greife hier nicht. Denn die medizinische Indikation für die Sondenernährung sei hier bereits sehr zweifelhaft gewesen. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Arzthaftungsrechts müsse der behandelnde Mediziner zudem beweisen, dass der Patient im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Diesen Beweis sei der Arzt schuldig geblieben.

Als Allgemeinmediziner könne der Beklagte sich auch nicht darauf zurückziehen, dass ein neurologischer Facharzt sich nicht eindeutig zum Abbruch der Sondenernährung ausgesprochen habe. Denn auch Allgemeinmediziner, die in der hausärztlichen Versorgung von Patienten in Alten- und Pflegeheimen tätig sind, müssten das einschätzen können, so das Gericht.

Gegen das Urteil wurde Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen VI ZR 13/18 anhängig.

Az.: 1 U 454/17

Frank Leth