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Warum es heikel ist, Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken




Chinesische Pflegekräfte arbeiten in vielen Einrichtungen in Deutschland, hier ein Foto aus Frankfurt am Main.
epd-bild/Thomas Lohnes
Pflegekräfte sind längst weltweit begehrt, nicht nur in Deutschland. Stichwort Pflegenotstand. Vereinzelt kommt Hilfe auch schon aus dem fernen Ausland. Doch aktive Anwerbung von Pflegepersonal aus bestimmten Ländern ist verboten. Aus gutem Grund.

Der Migrationsforscher Jochen Oltmer bringt es auf den Punkt: Weltweit fehlten Pflegefachkräfte, weil deutlich zu wenig Personal ausgebildet werde: "Das ist ein echtes Dilemma", sagt der Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Osnabrücker Universität.

Er verweist auf ein internationales Abkommen, das die aktive Anwerbung von Gesundheitspersonal in 57 Ländern wie etwa Indien, Kenia oder Marokko verbietet, weil dort selbst ein Mangel an Pflegekräften herrscht. Es gebe "kaum Perspektiven, Länder zu finden, in denen es ein Überangebot gibt", erläutert Oltmer.

Weil Deutschland zu wenig Fachkräfte ausbildet, setze die Regierung "daher offensiv oder stillschweigend auf den Zuzug qualifizierter Kräfte aus dem Ausland. Der weltweite Brain Drain (Verlust von Talenten) ist zu einem systemischen Problem geworden", urteilt die Deutsche Plattform für globale Gesundheit (DPGG), ein Zusammenschluss von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Forschern.

"Abwanderung ist ein gravierendes Problem"

"Die massenhafte Abwanderung hoch qualifizierter junger Menschen bereitet Entwicklungsländern gravierende Probleme", schreibt auch Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer 2017 erschienen Studie zum Thema "Global Migration Governance". Zum einen fehlten die Betroffenen auf dem heimischen Arbeitsmarkt; zum anderen werde die Frage aufgeworfen, ob sich weitere staatliche Investitionen in die tertiäre Bildung lohnen.

Auch jede Fluchtbewegung gen Norden nach Umweltkatastrophen oder Bürgerkriegen führt laut Angenendt zum Brain Drain. Vor allem, weil zuerst meist besser ausgebildete Personen fliehen. Und oft blieben sie dann in den Industriestaaten, auch wenn sich die Lage in ihren Heimatregionen wieder normalisiert hat: "Gerade diejenigen, die aufgrund ihrer Qualifikationen einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau ihrer Heimat leisten könnten, haben sich häufig im Ausland erfolgreich eine neue Existenz aufgebaut und ziehen eine Rückkehr nicht mehr in Betracht."

Benjamin Schraven, Sozialwissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, hält Migration zwar für ein sinnvolles Werkzeug, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. "Problematisch wird es nur, wenn die qualifizierten Arbeitnehmer in ihrer Heimat dringend gebraucht werden." Deshalb sei es grundsätzlich am sinnvollsten, den Personalbedarf am heimischen Markt oder aus Nicht-Entwicklungsländern zu decken.

Suche nach Personal läuft weltweit

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Politik und Arbeitgeber sich andernorts nach Fachkräften umsehen. Und das in Zukunft wohl noch systematischer tun müssten, denn nach einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums liegt der deutsche Mehrbedarf bei Pflegekräften bis 2030 zwischen 145.000 und 320.000.

Schon heute ist ein eklatanter Personalmangel spürbar: Nach Angaben des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe fehlen umgerechnet allein in der stationären Pflege umgerechnet auf Vollzeitstellen über 16.000 Fachkräfte.

Die vermeintliche Rettung: Offensiv betriebener oder stillschweigend hingenommener Zuzug qualifizierter Kräfte aus dem Ausland. Dazu merkt die DPGG kritisch an: "Die bisherigen Formen der Auslandsrekrutierung erhöhen den Druck auf das Berufsbild der Pflege. Das geringe Lohnniveau wird im besten Falle erhalten oder sogar gesenkt und somit die Kernprobleme des hiesigen Pflegemarktes eher verschärft als gelöst."

Probleme durch schwindendes Humankapital

Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Viel gravierender sind den Experten zufolge die Auswirkungen der abwandernden Fachkräfte in ihren Herkunftsländern. Die Staaten verlieren in Scharen Humankapital, oft mit erheblichen Folgen für die Gesundheitsversorgung der eigenen Bevölkerung.

Für den Experten Heino Güllemann ist das ein Unding. Er schreibt in den "Blättern für deutsche und internationale Politik": Aus den EU-Ländern im Osten (Tschechien, Polen und Rumänien) und Süden (Griechenland, Italien, Portugal und Spanien) werde über die Bundesagentur für Arbeit, über das Netzwerk der europäischen Arbeitsagenturen EURES und über Job-Messen Gesundheitspersonal rekrutiert. Außerhalb der EU werbe das Bundeswirtschaftsministerium zusammen mit der Bundesagentur in Serbien und Tunesien um Pflegekräfte und in Kooperation mit dem Arbeitgeberverband Pflege in China.

Über den Erfolg kann man geteilter Meinung sein. Über Anwerbeprogramme sind in den vergangenen sechs Jahren nach Angaben der Bundesregierung rund 2.500 Pflegekräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland vermittelt worden.

Doch Probleme bereite diese Rekrutierung nicht nur in den Staaten Afrikas, sondern längst auch innerhalb der EU. Güllemann: "Die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerungen in Polen, Rumänien und Bulgarien steht angesichts dieses Exodus vor ernsten Problemen." Denn der Gesundheitspersonalbestand eines Staates bestimme weitgehend, inwieweit der Bevölkerung ihr Menschenrecht auf Gesundheit gewährt werden könne.

Deutschland bewegt sich bei der Zuwanderung

Gleichwohl wird Fachkräftezuwanderung in großem Stil möglich sein: Das für 2019 geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz soll den Zuzug weiter erleichtern. Es sieht unter anderem vor, dass künftig alle Qualifizierten aus Ländern außerhalb der EU in Deutschland eine Arbeit aufnehmen können. Bislang ist diese Möglichkeit auf Hochqualifizierte und Fachkräfte in Mangelberufen beschränkt.

Dem Brandenburger CDU-Politiker Martin Patzelt geht das zu weit. Er fordert im neuen Gesetz eine Schutzklausel für die entwicklungsschwachen Herkunftsländer. Ohne eine solche Regelung werde eine "egozentrische Selbstversorgung auf Kosten Dritter" erfolgen, die den Entwicklungsländern ihre wenigen Fachkräfte raube, die sie selbst dringend bräuchten.

Eine Einschränkung für die Pflegebranche gilt aber weiterhin. Verboten ist die aktive Abwerbung von Pflegekräften aus 57 Ländern, wie etwa Indien, Kenia oder Marokko, die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter einem bedrohlichen Mangel an Gesundheitsfachkräften leiden. Aber: Ärzte dürfen aus diesen Staaten jedoch weiterhin rekrutiert werden.

Kooperationen bei der Ausbildung gefordert

Forscher Angenendt sieht dennoch Wege, in diesem Spannungsfeld die Interessen von Aufnahme- und Heimatländern zu versöhnen. Es gebe neue Ansätze, die darauf zielen, die Auswanderung qualifizierter Migranten direkt an die Ausbildung von Fachkräften für das jeweilige Herkunftsland zu koppeln, berichtet der Forscher. So habe das "Center for Global Development" beispielsweise "transnationale Ausbildungspartnerschaften" vorgeschlagen. Ihr Ziel ist es, Fachkräfte sowohl für den Bedarf des Heimatlandes als auch für jenen des Aufnahmelandes auszubilden.

"Eine Schulung vor Ort im Herkunftsland kann auf diese Weise dazu beitragen, international konkurrenzfähige Ausbildungseinrichtungen zu schaffen. Wenn solche Partnerschaften gut konzipiert werden, können auch die Empfängerländer von ihnen profitieren", sagt der Wissenschaftler. Denn sie könnten die von ihnen geförderte Ausbildung in den Herkunftsländern auch an den eigenen Bedürfnissen ausrichten. Und solche Partnerschaften kämen letztlich auch jenen Migranten zugute, die sich zu einem späteren Zeitpunkt entschließen, in ihre Heimatländer zurückzukehren.

Das hat auch die Bundesregierung erkannt. In ihren Eckpunkten für das künftige Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten heißt es, künftig sollten auch Ausbildungsangebote im Ausland etabliert werden. Dabei sei sie sich "der internationalen Prinzipien für ein ethisch verantwortbare Gewinnung von Fachkräften bewusst".

Meurer: Regierung muss selbst Personal anwerben

Dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) geht das längst nicht weit genug. Er verlangt von der Bundesregierung, aktiv internationale Pflegekräfte anzuwerben: "Arbeits- und Gesundheitsministerium müssen direkt in Drittstaaten mit einer positiven demografischen Entwicklung gehen und dort Pflegekräfte anwerben. Mit einem Zuwanderungsgesetz oder mit Erleichterungen für die Anerkennung ist es längst nicht mehr getan“, forderte Präsident Bernd Meurer am 8. November in Bad Homburg. Es fehlten bereits deutlich mehr als 50.000 Pflegekräfte.

Was in den 60er-Jahren für die Automobilindustrie getan worden sei, müsse auch für die Pflegebedürftigen möglich sein, sagte Meurer: "Wie damals soll die Bundesregierung wieder mit eigenen Ausbildungs- und Anwerbecentern in Drittstaaten mit einem hohen jungen Bevölkerungsanteil gehen."

Dirk Baas