sozial-Branche

Arbeitslosigkeit

Job- und Sinnsuche ohne Zwang




Arbeitslose gehen in einem Projekt auf Selbstsuche.
epd-bild/Gustavo Alàbiso
Im österreichischen Waldviertel gehen Arbeitslose in einem Pilotprojekt neue Wege. 18 Monate lang können sie austesten, wo ihre Fähigkeiten liegen und wohin sie sich beruflich entwickeln möchten. Die weiter bezahlte Arbeitslosenunterstützung sorgt für Unabhängigkeit.

"Nein", sagt Karl Immervoll, "ein Vorbild gibt es für unser Projekt eigentlich nicht." Die von ihm gegründete Beschäftigungsinitiative in Heidenreichstein im österreichischen Waldviertel nennt sich "Sinnvoll tätig sein". Dabei können Langzeitarbeitslose 18 Monate lang recht zwanglos ausprobieren, wo ihre Fähigkeiten liegen.

Die Teilnehmer erhalten in dieser Zeit weiterhin ihre Arbeitslosenunterstützung, müssen dem Arbeitsamt aber nicht zur Verfügung stehen. 44 Menschen nehmen an dem Beschäftigungsprojekt teil, das vom Betriebsseelsorger Immervoll im April 2017 in Heidenreichstein im österreichischen Waldviertel ins Leben gerufen wurde. Immervoll verweist darauf, dass ein Viertel der Teilnehmer bereits in eine feste Stellung wechseln konnte.

Heidenreichstein ist eine Stadt mit rund 4.000 Einwohnern im Norden Österreichs nahe der tschechischen Grenze. Früher gab es hier Arbeitsplätze in der Industrie, doch das ist seit Anfang der 1980er Jahre vorbei. Seitdem teilt die Region das Schicksal vieler ehemaliger Fabrikstandorte mit Arbeitslosigkeit, Überalterung und Abwanderung.

Initiative der Betriebsseelsorge

Seit den 1980er Jahren setzt die Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel dieser Negativentwicklung Alternativen entgegen: Von einer 1984 gegründeten Schuhwerkstatt bis zum Solartaxi 2013, das Mobilität für alle ermöglichen will. 2017 hat dann Pastoralassistent Immervoll, ein gelernter Schuhmacher, das Arbeitslosenprojekt aus der Taufe gehoben.

Es geht um das Ausloten von Möglichkeiten, um das Ausprobieren von Fähigkeiten und um das Arbeiten in sinnvollen Zusammenhängen. Damit verbunden ist die Zurückweisung des Zwangsregimes, mit dem heutzutage der Bezug von Arbeitslosengeld verknüpft ist. In einem Zwischenbericht schreibt Immervoll: "Die Befreiung von Ängsten und Druck ist ein Prozess. Trotzdem: 18 Monate von den Vorgängen rund um die Arbeitssuche befreit zu sein, Zeit zu haben, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Für manche bedeutet das, zum ersten Mal in ihrem Leben sich die Frage zu stellen: Was ist mein Weg?"

Arbeit wird hier aus einer anderen Perspektive aus betrachtet. Es geht darum, die eigenen Fähigkeiten in sinnvolle Tätigkeit einzubringen. Wie sieht das konkret aus?

Die Teilnehmer treffen sich einmal im Monat zu einem gemeinsamen Plenum, dazwischen arbeiten sie und organisieren sich in Arbeitsgruppen. Es entstehen gemeinsame Projekte, die auch der Kommune zugutekommen. So wurde etwa ein städtischer Platz begrünt. Manche Teilnehmer engagieren sich in der Altenbetreuung, andere pflegen Obstbäume, wieder andere versuchen sich als Schriftsteller.

"Bunte Truppe" auf der Suche nach sich selbst

Als eine "bunte Truppe" beschreibt der in Heidenreichstein aufgewachsene Historiker Franz Schandl die Teilnehmer. "Da tummeln sich Frauen und Männer im Alter von 20 bis 60 Jahren" und die meisten seien physisch und psychisch geschwächt, sagt Schandl, der am wissenschaftlichen Begleitprogramm mitarbeitet.

In ihrem Freiraum sollen die Teilnehmer danach forschen können, wo ihre eigenen Fähigkeiten, Stärken und Vorlieben liegen, was den meisten Teilnehmern im bisherigen Arbeitsprozess versagt blieb. "Wir haben erfahren", so Immervoll, "dass Arbeit krank machen kann." Und dass Arbeitslosigkeit deprimiert.

So will die Initiative auch helfen, die eigene soziale Isolation zu überwinden und neue Kontakte zu ermöglichen. Teilweise schon mit Erfolg: ein Viertel der Teilnehmer habe bereits eine feste Stelle gefunden.

Da ist die Frau, die aus der Gastronomie kam und eigentlich nie wieder in dieser Branche arbeiten wollte. Jetzt ist sie doch wieder da, aber in einem geschützten Bereich. Oder der Baggerfahrer, der, weil Analphabet, nicht den erforderlichen Führerschein hatte. Er hat die Prüfung inzwischen bestanden.

"Jeder Mensch hat viele Fähigkeiten, viele liegen brach", heißt es in einem Infoblatt der Betriebsseelsorge. "Immer mehr Menschen haben keine Chance auf einen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt. Und was sie eigentlich gerne tun würden, wird nicht gefragt." Im österreichischen Waldviertel werden neue Wege beschritten. Wenn das Projekt im Herbst beendet sein wird, soll es dazu eine wissenschaftliche Auswertung geben.

Rudolf Stumberger