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Gestiegene Zahl von Sanktionen sorgt für Debatten




Wartebereich des Jobcenters in Bielefeld.
epd-bild/Werner Krüper
Die Jobcenter haben 2017 geringfügig mehr Sanktionen verhängt als 2016, die allermeisten, weil Arbeitslose nicht zu Terminen erschienen sind. Arbeitsminister Heil will die Regeln überprüfen. Er hält schärfere Strafen für Jüngere nicht für sinnvoll. Die Union widerspricht. Sie will an den Sanktionen in der bestehenden Form festhalten.

Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Aussicht gestellte Prüfung der Hartz-IV-Sanktionen hat in der großen Koalition eine Kontroverse ausgelöst. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hermann Gröhe (CDU) sagte der "Rheinischen Post" am 12. April: "Wir halten an den Sanktionen im SGB II fest." Wer die Solidarität der Gesellschaft zur Sicherung seiner Lebenshaltungskosten in Anspruch nehme, habe auch die Pflicht zur Mitwirkung. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles unterstützte hingegen Heils Vorstoß.

Es sei "keinesfalls sinnvoll", jüngere Hartz-IV-Bezieher schärfer zu sanktionieren als ältere, sagte Nahles der "Frankfurter Rundschau". Zugleich betonte sie: "Die generelle Abschaffung der Sanktionen halte ich für schwierig."

Am 11. April hatte die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass im vergangenen Jahr geringfügig mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher verhängt wurden als im Vorjahr. Mit knapp 953.000 seien es rund 13.700 Sanktionen mehr gewesen als 2016. Die Quote, also das Verhältnis der Sanktionen zu allen Leistungsberechtigten, habe sich jedoch nicht verändert. Sie liege bei 3,1 Prozent.

Viele Sanktionen basieren auf Meldeversäumnissen

Mit 77 Prozent entfällt der größte Teil der Sanktionen auf Meldeversäumnisse. Dazu zählt etwa, wenn jemand einen Termin beim Jobcenter ohne Angaben eines wichtigen Grundes nicht wahrnimmt. Im vergangenen Jahr verringerten die Jobcenter deshalb in 733.800 Fällen die Leistungen um zehn Prozent. Für die Weigerung, eine Arbeit oder Maßnahme aufzunehmen, wurden 98.860 Sanktionen ausgesprochen.

Scheele kritisierte die Vorschriften für junge Arbeitslose. So sieht das Gesetz bei Jugendlichen bereits beim ersten Regelverstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, eine 100-prozentige Kürzung der Regelleistung vor. Kommt innerhalb eines Jahres ein weiterer Pflichtverstoß dazu, kann auch die Miete gekürzt werden. "Das bereitet uns Sorge, weil die strikten Sonderregelungen bei Jugendlichen zu besonders einschneidenden Leistungskürzungen führen", sagt Scheele und zeigte sich offen für Veränderungen.

"Drohende Wohnungslosigkeit hilft nicht weiter"

Auch die Kürzung der Miete, von der sowohl Jugendliche als auch Erwachsene bei wiederholten Verstößen betroffen sind, sieht Scheele problematisch: "Drohende Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter."

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte der Wochenzeitung "Die Zeit", er wolle prüfen, welche Sanktionen noch sinnvoll seien. Aber: Kürzungen seien grundsätzlich in Ordnung, weil die Gesellschaft eine Gegenleistung erwarten könne für die Unterstützung, die sie gewähre: "Aber ich halte es nicht für sinnvoll, dass - wie es derzeit der Fall ist - für Jüngere strengere Regeln gelten als für Ältere. Oder dass das Wohngeld gekürzt wird und die Leute auf der Straße stehen."

Nahles verteidigt Hartz-IV-Grundprinzip

Andrea Nahles erklärte, sie wolle am Kernprinzip von Hartz IV, dem Fordern und Fördern, festhalten. Sie erinnerte daran, dass es vor der Reform 2005 in der Sozialhilfe keine aktivierenden Arbeitsmarktmaßnahmen gegeben hat. Dennoch müsse man für Langzeitarbeitslose weiter über Wege der Förderung nachdenken, betonte die SPD-Fraktionschefin. Hier sei der geplante soziale Arbeitsmarkt ein richtiger Schritt, um die Lebensperspektiven Betroffener zu verbessern.

Vor der Einführung von Hartz IV habe man "einen Sozialstaat gehabt, der vielen Menschen gar kein Angebot mehr gemacht hat", sagte Nahles. Fördern und Fordern sei da eine Verbesserung gewesen gegenüber einem Zustand, in dem es hieß: "Du bleibst in der Sozialhilfe, egal, was du willst."

Sven Lehmann, Sprecher für Sozialpolitik der Grünen, bezeichnete die Sanktionspraxis der Jobcenter als falsch, "denn die Sanktionen belasten das Klima in den Jobcentern und sind zudem hoch bürokratisch". Die Berechnung und Durchsetzung von Sanktionen gehe für das Personal mit großem Verwaltungsaufwand einher. Zeit und Aufwand, der für die Beratung und Vermittlung der Arbeitssuchenden verloren gehe. "Wir fordern ein Ende der Sanktionspraxis. Stattdessen brauchen Arbeitssuchende mehr positive Erwerbsanreize und Motivation durch eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe."

Paritätischer kündigt Konzept an

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte die Sanktionen, mit denen Menschen häufig in existenzielle Notlagen gezwungen würden, als verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft und in keiner Weise zielführend. "Sanktionen bringen Menschen nicht schneller in Arbeit, sie werden als Drangsalierung und Ausdruck sozialer Ignoranz wahrgenommen", sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes, in Berlin. Insbesondere die besondere Härte gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denen nach aktueller Gesetzeslage die Leistungen komplett und selbst die Unterkunftskosten gestrichen werden könnten, sei nicht nachvollziehbar.

Notwendig sei eine komplette Neuausrichtung der Grundsicherung. Der Paritätische kündigte an, innerhalb der kommenden zwei Wochen ein eigenes Konzept zur Reform von Hartz IV vorzulegen.

"Die Ankündigung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, Hartz IV auf den Prüfstand zu stellen, ist eine gute Nachricht", sagte SoVD-Präsident Adolf Bauer. Die aktuellen Regelungen wirkten folgenschwer auf Millionen Betroffene. "Insbesondere ältere, geringqualifizierte und behinderte Menschen spüren das."

Zusätzlich hätten sie kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. "Deshalb gehören die bisher geltenden Sanktionen abgemildert", sagte Bauer. Neben einem bedarfsgerechten Regelsatz seien Maßnahmen erforderlich, die Langzeitarbeitslosen eine schnellere Rückkehr in den Arbeitsmarkt ermöglichen.

Bettina Markmeyer, Dirk Baas

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