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Gesundheit

Interview

Hurrelmann: "Schüler wissen kläglich wenig über Gesundheit"




Klaus Hurrelmann
epd-bild/Jürgen Blume
Viele Menschen wissen wenig über ihren Körper und wie sie gesund bleiben können. Im komplexen deutschen Gesundheitssystem finden sie sich nur schwer zurecht, wenn sie im Krankheitsfall Hilfe brauchen. Fachleute fordern einen "Nationalen Aktionsplan", um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu verbessern.

Ein Expertenteam um Klaus Hurrelmann will mit einem "Nationalen Aktionsplan" das Wissen der Bevölkerung in Gesundheitsfragen verbessern. Viele Menschen sind nach Angaben des Bildungs- und Gesundheitswissenschaftlers von der Berliner Hertie School of Governance mit dem Umgang von Gesundheitsinformationen überfordert. Ziel müsse sein, "jeden Menschen in die Lage zu versetzen, ein souveräner Patient zu sein, der seine Bedürfnisse und Interessen durchsetzen kann". Die Fragen stellte Markus Jantzer.

epd sozial: Herr Professor Hurrelmann, Sie fordern, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht mehr über das Thema Gesundheit erfahren. Warum sollten sich junge Menschen dafür interessieren, sind doch die meisten von ihnen gesund?

Klaus Hurrelmann: So ist es, als junger Mann oder junge Frau hat man das Gefühl, souverän über seinen Körper und seine Psyche herrschen zu können. Beeinträchtigungen sind noch sehr selten. Umso ratloser sind viele junge Leute, wenn sich plötzlich doch ein gesundheitliches Problem einstellt, was natürlich jederzeit möglich ist. Sie reagieren dann häufig hilflos und geraten in Panik, weil sie nicht wissen, wo und wie sie sich die angemessene Unterstützung holen können.

epd: Was genau sollen junge Menschen über Gesundheit lernen? Welche Wissens- und Kompetenzlücken sollten nach Ihrer Meinung dringend geschlossen werden?

Hurrelmann: Nach aktuellen Untersuchungen ist das Wissen der Schülerinnen und Schüler in der Mittel- und Oberstufe teilweise kläglich. Viele denken zum Beispiel, dass Antibiotika gegen Viren helfen. Sie wissen nicht, dass häufiger Sonnenbrand das Hautkrebsrisiko vergrößert und ungeschützter Sex Gebärmutterhalskrebs fördern kann. Auch bei Versorgungseinrichtungen kennen sie sich nicht aus. Jeder Vierte kann den Unterschied zwischen stationärer und ambulanter Behandlung nicht erklären. Hier sind also viele Wissenslücken zu schließen, die für das Alltagsleben von großer Bedeutung sind.

epd: In welchen Schulfächern soll dieses Wissen vermittelt werden?

Hurrelmann: Im Idealfall in einem neuen Schulfach Gesundheit. Es ist schwer nachvollziehbar, dass so ein wichtiger Bereich des Lebens in der Schule kaum vorkommt. Junge Leute sehen das nach einer aktuellen Umfrage genauso: Fast 80 Prozent sprechen sich für ein Schulfach Gesundheit aus. Ein starkes Argument dafür ist, dass eine gute Gesundheit eindeutig die beste Voraussetzung für Leistungsfähigkeit ist. Die Einführung eines neuen Fachs bedeutet natürlich eine Kraftanstrengung. Als Zwischenlösung auf dem Weg dahin könnten Gesundheitsthemen in bestehende Fächer wie Sport, Biologie und Sozialkunde einbezogen werden. Auch Arbeitsgemeinschaften und Projektwochen sind denkbar.

epd: Menschen, die in der Lage sind, im Internet zu surfen, finden dort zum Thema Gesundheit die Informationen, die sie brauchen. Wo sehen Sie hier Schulungsbedarf?

Hurrelmann: So paradox es klingt, die Vielfalt von Gesundheitsinformationen im Internet hat dazu geführt, dass die Nutzer überfordert sind; das gilt auch die jungen Nutzer, die sich online gut zurechtfinden. Wir stellen fest, dass die Kompetenz, zwischen guten und schlechten, richtigen und falschen Informationen zu unterscheiden, gesunken ist. Es gibt derartig viele Anbieter von Informationen und Apps, dass selbst Fachleute keinen Überblick mehr haben. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen Medienkompetenz und Gesundheitskompetenz.

epd: Sie plädieren für die Einführung eines "Nationalen Aktionsplans zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung". Das klingt zunächst abstrakt und bürokratisch. Wie könnte es mit einem solchen Plan gelingen, das Gesundheitsbewusstsein zu steigern und eine gesunde oder zumindest gesündere Lebensweise zu befördern?

Hurrelmann: Wir haben den Aktionsplan Gesundheitskompetenz zusammen mit vielen Fachleuten aus Gesundheitswissenschaften und Medizin entwickelt. Wir folgen dabei dem Vorbild anderer Länder, die solch umfassende Strategien eingeführt haben und erfolgreich praktizieren. Wir haben alle bisherigen Erfahrungen hierzu gesichtet und sie in 15 Empfehlungen zusammengefasst. Sie reichen von der Gesundheitsbildung in Kindergarten und Schule über die Förderung der gesundheitlichen Selbstkontrolle am Arbeitsplatz bis zum Umgang mit Konsum- und Ernährungsangeboten. Aber sie beziehen natürlich auch die verbesserte Orientierung im Versorgungssystem mit ein und machen Vorschläge für eine verbesserte Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten. Ganz wichtig sind auch Vereinfachungen im Gesundheitssystem, so dass Nutzer sich besser zurechtfinden und leichter die Informationen erhalten, die sie zur Bewältigung ihrer Krankheit benötigen.

epd: Wie teuer ist die Umsetzung eines solchen Nationalen Aktionsplans?

Hurrelmann: Nach Schätzungen der WHO ließen sich 15 Milliarden Euro sparen, wenn wir die Defizite in der Gesundheitskompetenz deutlich reduzieren würden, wie wir es vorschlagen. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat erkannt, dass die Überforderung vieler Menschen im Umgang mit Gesundheitsinformationen ein Kostentreiber ist. Deshalb hat er eine Allianz für Gesundheitskompetenz ins Leben gerufen, der alle großen Gesundheitsorganisationen von den Krankenkassen über die Ärzteverbände bis hin zu den Selbsthilfegruppen in Deutschland angehören. Das gemeinsame Ziel ist, jeden Menschen, ob jung oder alt, in die Lage zu versetzen, ein bewusster Verbraucher und Nutzer zu sein und, wenn es sein muss, ein souveräner Patient, der seine Bedürfnisse und Interessen durchsetzen kann.


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