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Umfrage

Geld für Flüchtlingshilfe kommt bei vielen Initiativen nicht an




Unterstützung von Flüchtlingen im Lerncafe in Augsburg.
epd-bild/Annette Zoepf
Die Willkommenskultur soll mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden. Doch gerade bei vielen kleinen Initiativen kommt die Förderung laut einer Studie nicht an. Experten fordern Reformen bei der Vergabe der öffentlichen Gelder.

Trotz vorhandener Fördermittel gehen vor allem kleinere Initiativen der Flüchtlingshilfe oft leer aus. 37 Prozent der untersuchten Freiwilligenprojekte nehmen keine öffentlichen Gelder in Anspruch, wie aus einer am 20. Februar vorgestellten Studie "Fördermittel in der Flüchtlingshilfe" im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Hindernis sei unter anderem der hohe Aufwand bei der Antragstellung. Experten der Bertelsmann Stiftung sowie von Flüchtlingsinitiativen mahnten eine unbürokratischere Praxis bei der Vergabe von Fördermitteln an.

Hohe Hürden führten häufig dazu, dass Anträge erst gar nicht gestellt würden, heißt es in der Studie, die vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) erstellt wurde. So müssten die Förderungen in der Regel beantragt werden, bevor die Projekte umgesetzt werden. Bereits laufende Projekte erhielten daher oft keine Fördermittel. Der Staat fordere zudem häufig von den Initiativen, sich als Vereine zu organisieren. Knapp 38 Prozent der Initiativen hätten jedoch angegeben, sie fühlten sich dadurch eingeschränkt.

Etablierte Träger profitieren am meisten

70 Prozent der befragten Initiativen sehen laut Studie zudem einen zu hohen Zeitaufwand für die Antragstellung. Jede zweite bemängele fehlende Informationen.

Öffentliche Mittel gehen der Untersuchung zufolge vor allem an bereits etablierte Träger, wie bereits bestehende Vereine und Verbände. Sowohl Initiativen als auch Vereine und Kirchen bestreiten demnach den größten Teil ihrer Mittel aus privaten Spenden.

Einer der Autoren der Erhebung, Serhat Karakayali, sagte in Berlin, es sei bedauerlich, "wenn gerade die spontan entstandenen, informell organisierten Initiativen nicht von der Förderung durch die öffentliche Hand profitieren. Denn vor allem diese Initiativen waren es, die im Angesicht der Überforderung staatlicher Strukturen wesentliche Aufgaben der Versorgung, Betreuung und schließlich Integration der Flüchtlinge geleistet haben."

Die Autoren der Studie fordern Reformen bei den Vergabeverfahren. Damit die Fördermittel besser ankommen, schlagen sie folgende Lösungsansätze vor:

• lokale Bedarfe besser zu identifizieren,

• die Unabhängigkeit anzuerkennen und geringere Vorgaben für die Vergabe von Fördermitteln anzusetzen,

• für die Förderung geringerer Beträge weniger bürokratische Verfahren zu wählen,

• die Verfahren insgesamt zu vereinfachen

• und Fördermittel auch für bereits laufende Aktivitäten bereitzustellen.

Unbürokratische Antragsverfahren gefordert

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), plädierte dafür, "die Förderlandschaft neu zu denken". Hunderttausende Bürger hätten in den vergangenen Jahren spontan dort geholfen, wo die Not am größten gewesen sei und staatliche Systeme nicht ausgereicht hätten, erklärte sie in Berlin. Die Zusammenarbeit mit etablierten Trägern wie Verbänden bleibe wichtig.

Zugleich müsse eine effektive Flüchtlingshilfe Fördermöglichkeiten vor Ort für kleinere oder nicht etablierte Träger sowie für Initiativen und Migrantenorganisationen bereitstellen können. Die öffentliche Hand müsse auch bereit sein, Initiativen zu unterstützen, die nicht in die etablierte Förderstruktur passten.

Auch der Bundesverband Netzwerk von Migrantenorganisationen (Nemo) mahnte unbürokratischere und ortsnähere Förderung von Flüchtlingsprojekten an. Zentral vergebenen Fördermittel seien oft an Bedingungen geknüpft, die zwar im Grundsatz richtig seien, aber nicht immer mit der Wirklichkeit der verschiedenen örtlichen Gegebenheiten übereinstimmten, sagte Ismail Köylüoglo vom Bundesverband dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Diakonie für leichtere Zugänge zum Geld

Auch die Diakonie Deutschland plädierte für leichtere Zugänge zu Fördermitteln. Flüchtlingsinitiativen und auch etablierte Träger könnten oft die geforderten Eigenmittel nicht aufbringen, erklärte der Wohlfahrtsverband in Berlin. Daher sollten diese so gering wie möglich angesetzt werden. Diakonie und Kirchengemeinden arbeiten mit Freiwilligen und Flüchtlingsinitiativen zusammen und unterstützen ihre Arbeit mit kirchlichen Mitteln.

Für die Studie "Fördermittel in der Flüchtlingshilfe. Was gebraucht wird - was ankommt" wurde zwischen Februar und April 2017 in den vier Bundesländern Bayern, Berlin, Niedersachsen und Thüringen 34 Interviews mit Initiativen, Trägern und Fördermittelgebern geführt. Ergänzend wurden 556 Organisationen online befragt.

Holger Spierig, Dirk Baas

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