Ausgabe 8/2013 - 23.02.2018
Frankfurt a.M., Göttingen (epd). Weil Spenderorgane fehlen, wird in den Niederlanden künftig jede volljährige Person automatisch als Organspender erfasst - es sei denn, sie widerspricht dem ausdrücklich. Das Gesetz wurde am jetzt in Den Haag mit einer Zwei-Stimmen-Mehrheit vom Parlament angenommen. Für Deutschland wäre die Widerspruchslösung keine gute Idee, sagte der Straf- und Medizinrechtler Gunnar Duttge von der Georg-August-Universität in Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Bundesrepublik gilt die sogenannte Zustimmungsregelung. Danach ist nur derjenige ein potenzieller Organspender, der zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat. Im Zweifelsfall müssen nach dem Tod die Angehörigen entscheiden. Die Fragen stellte Carina Dobra.
epd: Herr Professor Duttge, was halten Sie von der Entscheidung in den Niederlanden?
Duttge: Die Nachricht hat mich überrascht. Die Niederlande sind sonst ein sehr liberales Land. Bei der Sterbehilfe und der Drogenpolitik ist dort alles auf Selbstbestimmung ausgerichtet.
epd: Wäre die sogenannte Widerspruchslösung auch in Deutschland denkbar?
Duttge: Rein rechtstechnisch wäre das natürlich machbar. Der Bundestag müsste dann das Transplantationsgesetz ändern. Gesellschaftspolitisch wäre das aber außerordentlich unklug, wenn man sagt: "Ihr seid misstrauisch, künftig werden wir euch einfach nicht mehr fragen." Das wäre ein Eigentor. So gewinnt man kein Vertrauen. Ich bin auch immer skeptisch beim Vergleich mit anderen Ländern. Auf Zypern und in Bulgarien gibt es auch die Widerspruchslösung und da sind die Spenderzahlen sehr niedrig. Spanien hat zwar die meisten Spender in Europa, da hat Organspende in den Familien aber auch eine andere Ausprägung von Solidarität.
epd: Was wären denn sinnvolle Alternativen, um wieder mehr Organspender in Deutschland zu gewinnen?
Duttge: Das Problem des Organmangels müsste im alltäglichen Leben der Menschen sichtbar werden, so wie etwa Fernsehlotterien für einen guten Zweck Menschen für die Not in der Welt sensibilisieren. Im Einzelnen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, um Anstöße zum Nachdenken zu geben. Die Bevölkerung muss dringend aufgeklärt werden. Zu selten informieren sich Menschen aus eigenem Antrieb über Themen wie Hirntoddiagnostik, Intensivmedizin am Lebensende und die Frage nach der Verteilung von Organen.
epd: Und wie könnte das gegen?
Duttge: Man könnte in der Tageszeitung eine Rubrik einführen "Organspender des Monats". Das was zum Beispiel die Deutsche Stiftung Organspende jetzt tut, verstehen Menschen eher als nachholende Imagekampagne, als Marketing. Das reicht nicht. Wir müssen proaktiv auf die Menschen zugehen, nicht nur eine Hotline anbieten. Warum thematisieren wir Organspende nicht in der Fahrschule? Wir sollten die Fahrschüler fragen, was mit ihren Organen nach einem Unfall passieren soll. Klingt prekär, aber wir sollten sie zumindest darüber informieren. Das sorgt ja auch für ein positives Image der Fahrschule. Oder an Schulen gehen, Jugendliche ansprechen. Wir müssen da hingehen, wo Menschen zusammenkommen.