Ausgabe 37/2017 - 15.09.2017
Freiburg (epd). Immer mehr Menschen geht es so: Feierabend zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass nichts mehr zu tun ist. Hier noch eine E-Mail vom Kollegen beantworten, dort noch eine WhatsApp-Nachricht lesen, und manchmal ruft sogar der Vorgesetzte am Wochenende an. Dass ständige Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit Menschen psychisch belasten kann, ist schon lange bekannt - allein, es fehlen Lösungsansätze, wie man mit E-Mails und Simsen zur "Unzeit" adäquat umgehen kann. "Es geht nicht darum, Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten zu verteufeln. Wichtig ist nur, sie so zu gestalten, dass sie einen Nutzen bringt", sagt Nina Pauls.
Sie ist Arbeits- und Organisationspsychologin an der Universität Freiburg und gehört einem Forscherteam an, das sich mit Wissenschaftlern des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung München dieser Frage angenommen hat. "MASTER - Management ständiger Erreichbarkeit" heißt die Studie, mit der die Wissenschaftler erkunden wollen, wie man die Erreichbarkeit von Mitarbeitern so gestalten kann, dass weder ein Unternehmen noch die Beschäftigten unter den Arbeitsbedingungen leiden.
Das Ergebnis klingt eigentlich ganz simpel, ist aber in vielen Unternehmen noch nicht angekommen: Man muss darüber reden. Dann lässt sich auch ein Modus finden, der auf die Bedürfnisse der Firma wie auch der Mitarbeiter zugeschnitten ist.
Befragt haben die Forscher für die Studie Mitarbeiter von fünf Unternehmen der IT-Branche, insgesamt etwa 300 Menschen. Sie wollten zunächst wissen: Wer ist üblicherweise wie oft außerhalb seiner Arbeit erreichbar - und wie wirkt sich das auf das Wohlbefinden aus?
Dabei habe sich gezeigt, dass Beschäftigte überdurchschnittlich viele Probleme mit Erreichbarkeit haben, wenn diese firmenintern nicht thematisiert wurde. Nicht die Verfügbarkeit allein war das Problem, sondern oftmals auch eine Unsicherheit unter den Mitarbeitern, was von ihnen eigentlich erwartet wird. "Viele Leute wissen zum Beispiel gar nicht, ob sie auf eine Mail am Wochenende antworten müssen - andere wiederum sind aus genau diesem Grund unsicher, zu welcher Zeit sie etwas verschicken dürfen", sagt Pauls.
Unklarheiten in der Kommunikation und in den Erwartungen können also zu einer Belastung werden. Genau dort setzte der nächste Schritt des Projekts an. "Wir haben mit einigen Mitarbeitern Workshops abgehalten. Bei den Teilnehmern ging die Erschöpfung messbar herunter", sagt Pauls. Geklärt wurden Fragen wie: Wer muss in einer Mail überhaupt in den Verteiler? Sollte man wichtige Mails vorab per SMS ankündigen? Oder: Welches Medium benutze ich? "Termine kann man beispielsweise viel besser über einen Online-Kalender ausmachen als über eine endlose E-Mail-Flut", sagt Pauls.
Eines der beteiligten Unternehmen ist die Freiburger Softwarefirma Kühn und Weyh. Etwa 100 Menschen arbeiten dort, viele von ihnen sind auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten erreichbar - vor allem deswegen, weil man bemüht ist, diese so flexibel wie möglich zu gestalten. In dem Forschungsprojekt seien die Vorteile, aber auch die Probleme konkret erfahrbar geworden, sagt Betriebsrätin Corinna Heist. Zum Beispiel, dass die Gefahr bestehe, dass "die Teams den Kontakt untereinander verlieren und es unübersichtlich wird". Das Unwissen darüber, welcher Mitarbeiter zu welcher Zeit erreichbar sei, habe sich negativ auf die Projektarbeit, aber auch auf das persönliche Wohlbefinden ausgewirkt.
Oft sind es nur kleine Schritte, die zusammen eine Menge bewirken können. So hat Betriebsrätin Heist ihr eigenes Verhalten jetzt überdacht und angepasst. "Ich habe einige Wochenend- und Abendtermine - und darüber kommuniziere ich jetzt viel mehr. Ich trage diese Termine jetzt ein. Das hat den Vorteil, dass die Kollegen wissen, wann ich noch für die Arbeit erreichbar bin. Das macht es allen einfacher", sagt sie.