Ausgabe 37/2017 - 15.09.2017
Berlin (epd). Drei Viertel der Bevölkerung halten die aktuelle Vermögensverteilung in Deutschland für ungerecht. Das ist das Ergebnis einer am 12. September vorgestellten Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und des Paritätischen Gesamtverbands. Eine breite Mehrheit spricht sich demnach für mehr Staatsausgaben in der Sozial-, Wohnungs- und Bildungspolitik sowie für höhere Steuern für Reichen aus. Ver.di-Chef Frank Bsirske und der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sehen darin ihre Forderungen nach einer stärkeren Umverteilung in Deutschland bestätigt.
Der Befragung zufolge empfinden 91 Prozent der SPD-Anhänger und 55 Prozent der CDU/CSU-Anhänger die Vermögensverteilung in Deutschland als ungerecht. Auch die Befragten mit anderen Parteipräferenzen vertreten mehrheitlich diese Auffassung. Einzige Ausnahme sind die FDP-nahen Umfrage-Teilnehmer.
Von den insgesamt 1.005 Befragten vertreten 70 Prozent die Ansicht, dass die Kluft zwischen Arm und Reich ein Maß erreicht hat, das den sozialen Frieden in Deutschland gefährdet. Diese Haltung teilte auch die Mehrzahl der befragten FDP-Anhänger. 78 Prozent befindet zudem, dass in der Bildung zu wenig investiert wird. 73 Prozent beklagen zu wenig Investitionen für bezahlbare Wohnungen, 62 Prozent wünschen höhere Sozialausgaben. 84 Prozent sprachen sich für ein stärkeres Engagement des Staates bei der Bekämpfung der Altersarmut, 77 Prozent bei der Pflege und 72 Prozent bei Hilfen für benachteiligte Kinder und Jugendliche aus.
Für Steueranhebungen auf sehr hohe Einkommen und große Vermögen plädierten ebenfalls drei Viertel der Befragten. Die Zustimmungsquoten lagen bei den AfD-Anhängern bei 72 Prozent, bei den Grünen-Sympathisanten bei 89 Prozent und bei den SPD- und Linke-nahen Befragten je bei 87 Prozent. Nur die Anhänger der FDP lehnen Steuererhöhungen mehrheitlich ab. Insgesamt halten 77 Prozent eine Anhebung der Vermögenssteuer und 67 Prozent der Einkommensteuer für das richtige Instrument. Nur 45 Prozent plädieren für eine höhere Erbschaftssteuer.
Schneider zog aus der Umfrage ein klares Fazit: "Die ganz breite Mehrheit der Bevölkerung will einen Kurswechsel in der Steuerpolitik, damit der Staat seinen drängenden sozialpolitischen und bildungspolitischen Aufgaben nachkommen kann." Die Menschen wollten in parteiübergreifender Mehrheit eine solidarische Steuerpolitik, die Reiche stärker in die Verantwortung nehme. Die nächste Bundesregierung müsse deshalb "der Mehrheit ihrer Anhängerschaft" folgen.
Bsirske unterstrich, die Umfrage zeige, dass eine umverteilende Steuer- und Ausgabenpolitik einen starken gesellschaftlichen Rückhalt habe. Dies sei keine parteipolitische, sondern eine moralische Frage. "Letztendlich geht es darum zu entscheiden, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen", sagte er. Im Wahlkampf hätten die Parteien das Thema aber nur "halbherzig" aufgegriffen. Jetzt hätten sie noch zwei Wochen Zeit, das Thema zuzuspitzen.
Eine Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Umfrage und den Wahlprognosen, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Wahl gewinnen wird, sehen Schneider und Bsirske nicht. Die Sonntagsfragen seien erfahrungsgemäß «sehr volatil», zudem hätten sich viele Wähler noch nicht festgelegt, sagte Schneider.
Eine parteipolitische Wahlempfehlung wollten weder er noch Bsirske aussprechen. Allerdings berge eine Koalition aus Union und FDP auch "kein Versprechen für eine Verbesserung", sagte Bsirske.