Ausgabe 34/2017 - 25.08.2017
Esslingen (epd). Bei aller professionellen Distanz treibt es Antonia Biber manchmal so sehr um, dass sie es einfach wissen möchte: "Ich frage dann, ob es gut war - ob der Tod friedlich und schmerzlos kam." Die 18-Jährige hat sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Hospiz der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Esslingen entscheiden, das sie noch bis zum Herbst zusammen mit der gleichaltrigen Sandra Mohring in Oberesslingen absolviert.
90 bis 100 Menschen werden sie nach Einschätzung der Hospizleiterin in dem Jahr kommen und sterben sehen. Der Tod sei in gewisser Weise natürlich immer präsent, sagen die jungen Frauen. Aber: "So ganz alltäglich wird er nie", macht Antonia deutlich. Sie und Sandra helfen vor allem in der Hauswirtschaft, beim Waschen und Tischdecken. Doch wichtiger als das sind die vermeintlich kleinen Dinge, die sie tun: das Zuhören, Spazierengehen, mal eine Spielrunde.
Jeweils acht Menschen verbringen ihre letzten Tage, Wochen oder Monate in dem Haus. Diese Gästen und ihre Familien stehen im Mittelpunkt. "Wenn einer einen Wunsch hat, sollte man diesen möglichst zeitnah erfüllen", erklärt Sandra. "Die Mädchen sind oft Enkel-Ersatz, die Alltagsvertrauten. Sie sind weniger respekteinflößend als die Pflegekräfte", sagt Einrichtungsleiterin Susanne Kränzle.
Gleichaltrige würden schon mal große Augen machen, wenn sie ihnen von der Wahl ihres FSJ berichten, sagen die jungen Frauen. Doch sie sind felsenfest überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. "Mir ging es um die menschliche Komponente. Dafür gibt es keine Bücher. Das muss man machen, um es zu lernen", sagt Antonia aus Oberesslingen, die über eine Bekannte auf die Idee gekommen ist.
Ähnlich geht es Sandra, die Ärztin werden möchte und schon einen Studienplatz in Aussicht hat. "Das Fachliche lerne ich sowieso. Das Menschliche ist mir deshalb wichtiger. Manche Ärzte können sehr direkt sein, obwohl man Dinge sehr viel taktvoller sagen kann", findet sie. Ob ihr schon mal die Tränen gekommen sind? "Das ist mir noch nicht passiert, und das habe ich auch nicht vor", sagte die junge Frau mit einer Stärke und Abgeklärtheit, die erstaunt. Sicher wüchsen ihr manche Menschen schon ans Herz, aber das sei nun mal der Beruf, und da sei eine gewisse Professionalität wichtig.
Mit Bewunderung schauen die Mädchen auf die Mitarbeiter des Hospizes. "Ich habe hier viele beeindruckende Menschen kennengelernt. So eine Sicherheit möchte ich ausstrahlen können", schwärmt Antonia. Vor allem, wenn ihr mal die Worte fehlen. Ihr Konzept: ehrlich bleiben und einfach zugeben, wenn man keinen Rat weiß. Helfen könne sie trotzdem oft, sagt Sandra: "Ich kann halt zuhören." Wenn es ihnen mal zu viel wird, dann schöpfen sie Kraft aus Gesprächen mit den Kollegen im Hospiz und miteinander. "Ich bin froh, dass Sandra da ist", sagt Antonia.
Die Einrichtungsleiterin lobt ihre FSJ-lerinnen. "Sie sind sehr gereift, seit sie bei uns sind. Wir sind jetzt schon traurig, dass die beiden bald wieder weg sind", sagt Susanne Kränzle. Durch ihre "größere Freiheit, ihr unverstelltes und im besten Sinne unprofessionelles Herangehen" brächten die zwei viel frischen Wind ins Haus - ähnlich wie schon ihre Vorgängerinnen.
Das FSJ in Baden-Württemberg erfreut sich seit Jahren wachsender Beliebtheit. 2016 waren 12.732 Menschen im Einsatz, 2017 bislang 12.925. Auch beim Bundesfreiwilligendienst, der den Zivildienst ablöste und auch für Senioren möglich ist, klettern die Teilnehmerzahlen: Waren es 2016 bundesweit rund 37.400, so stehen ein Jahr später schon 41.200 Teilnehmer in der Statistik. Viele nutzen wie die beiden jungen Frauen die Zeit nach dem Abitur - weil sie etwa auf einen Studienplatz warten oder sich beruflich erst einmal orientieren wollen.
Während Sandra schon weiß, was sie nach dem FSJ vorhat, ist Antonia noch auf der Suche. Sie würde beruflich gern etwas mit der französischen Sprache machen - was genau, weiß sie aber nicht. "Deshalb hatte ich die Idee, ein Jahr in einem französischen Kinderhospiz anzuschließen. Aber die Hospizbewegung ist dort noch nicht so weit." Also werde es wohl ein normales Hospiz. "Etwas mit und für Menschen zu machen, ist sehr wertvoll", sagt sie.