Ausgabe 15/2017 - 13.04.2017
Berlin (epd). Flüchtlinge leiden nach Einschätzung von Experten häufiger als andere Menschen an Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. In Deutschland sei es für Geflüchtete jedoch schwer, psychologische Hilfe zu bekommen, sagte die Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, Elise Bittenbinder, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Fragen stellte Johanna Greuter.
Besonders wichtig ist laut Bittenbinder, dass Traumatisierte rasch und gezielt betreut werden, ohne große Hürden überwinden zu müssen: "Schnelle Hilfe kann häufig verhindern, dass die Erkrankung chronisch und an die Kinder weitergegeben wird." Das müsse nicht immer eine Psychotherapie sein. "Viele finden andere Wege, das zu verarbeiten", sagte die Expertin.
Studien zufolge haben etwa 40 Prozent der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, extreme traumatische Erlebnisse hinter sich. Viele von ihnen können laut Bittenbinder durch gezielte psychosoziale Unterstützung ihre Selbstheilungskräfte so aktivieren, dass sie ohne spezialisierte Behandlung zurechtkommen.
"Wenn sie gefoltert wurden oder erlebt haben, wie Angehörige gefoltert oder umgebracht wurden, übersteigt das ihre Möglichkeiten, das gut zu verarbeiten", sagte Bittenbinder, die seit knapp 30 Jahren mit Traumatisierten arbeitet. "Die traumatischen Erlebnisse bleiben in Erinnerung und kommen immer wieder hoch." Die häufig prekären Lebensumstände in Flüchtlingsunterkünften, die fremde Umgebung und die Untätigkeit wirkten sich ebenso negativ auf die Psyche aus. Erschwerend komme hinzu, dass das Beantragen einer Therapie schwierig und komplex sein könne.
Posttraumatische Belastungsstörungen werden laut Studien bei Flüchtlingen zehnmal häufiger diagnostiziert als bei anderen Menschen. Symptome sind Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Alpträume, Erinnerungsattacken und Gefühlstaubheit. "Posttraumatische Belastungsstörung ist zwar die häufigste Diagnose, genauso oft können jedoch auch Depressionen diagnostiziert werden", sagte Bittenbinder.
Viele Flüchtlinge, vor allem Männer, scheuen nach ihren Worten davor zurück, sich Hilfe zu suchen. Sie hätten Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung. "Frauen erkennen psychische Leiden eher an und gehen zum Therapeuten", sagte Bittenbinder: "Männer lehnen dies öfter ab, da psychische Leiden nicht zu ihrem Selbstbild passen."