sozial-Branche

Pilotprojekt

Flüchtlinge lernen für das Leben in Deutschland




Lernen für das Leben in Deutschland
epd-bild / Jörg Nielsen
"Wer sehen will, wie Integration funktioniert, muss nach Ostfriesland kommen", sagt Handwerkspastor Claus Dreier. In Norden lernen Flüchtlinge Deutsch und den Umgang mit Holz und Metall.

Sorgfältig schiebt Teklu den Hobel über die Leiste. Der 22-jährige Eritreer genießt es, in der Werkstatt mit Holz und Werkzeugen zu hantieren. "Das kann ich gut", sagt er mit Stolz in der Stimme und baut weiter an dem Regal für sein Zimmer. Geert-Walter de Boer nickt zustimmend. Der Praxisanleiter der "Initiative Lernwerkstatt für Flüchtlinge" in Utlandshörn in der Nähe der ostfriesischen Stadt Norden ist zufrieden. Teklu arbeitet nicht nur gewissenhaft, er spricht auch in ganzen Sätzen. Seit einem halben Jahr lernt er Deutsch. Das Ziel des Pilotprojektes: Das im Sprachkurs mühsam Erlernte im Alltag und in der Arbeitswelt anzuwenden.

Gleich hinter dem Nordseedeich leben und arbeiten rund 41 Flüchtlinge in dem Gebäude der früheren Küstenfunkstelle "Norddeich Radio". Jeden Tag kommen mehr als 100 weitere Geflüchtete mit dem Bus als Pendler hinzu, um einen Deutschkurs zu besuchen. Seit Oktober ist die Erstaufnahme-Einrichtung ein Integrationsstützpunkt in Trägerschaft der Kreisvolkshochschule. Es gibt eine Kantine, einen Kindergarten und einen kleinen Supermarkt mit Produkten aus den Heimatländern. "Am besten gehen dicke weiße Bohnen", verrät der aus dem Libanon stammende Berliner Nabha, der den Laden leitet. "Die lieben alle Afrikaner und Araber."

Bundesweit absolvieren Geflüchtete Programme, die sie fit für die Ausbildung machen sollen. Das Bundesbildungsministerium finanziert 10.000 Plätze im "Flüchtlings-Qualifizierungs-Projekt", die bis Ende 2018 besetzt sein sollen. Derzeit stehen laut Zentralverband des Deutschen Handwerks rund 2.000 Plätze im Projekt "Perspektiven für junge Flüchtlinge im Handwerk" bereit, das von der Bundesagentur für Arbeit entwickelt wurde.

Mehr als nur ein bisschen Deutsch lernen

Einrichtungsleiter Manfred Lunau erklärt: "Als wir hier vor einem Jahr mit der Arbeit begonnen haben, war uns schnell klar, dass Sprachkurse alleine nicht genügen." Erfahrene Handwerker richteten mit finanzieller Unterstützung des evangelischen Kirchenkreises Norden und der hannoverschen Landeskirche gleich drei Lernwerkstätten ein: je eine Werkstatt für Holz und Metallarbeiten sowie eine Fahrradwerkstatt. Die Kirche stellte insgesamt 20.000 Euro für Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung.

Praxisanleiter de Boer ist von dem Konzept überzeugt. "Sprachkurse sind wichtig, aber noch wichtiger ist es, die Sprache auch im Alltag anzuwenden." In seiner Werkstatt darf nur in ganzen Sätzen gesprochen werden. Außerdem entstehe durch die gemeinsame Arbeit eine menschliche Beziehung, die das Lernen einfacher mache. "So entsteht Vertrauen und der Mut, sich auszuprobieren." Mit einem Schmunzeln erinnert er sich an die Anfänge. Als ein altes Metall-Tor repariert werden sollte, musste der nötige Abstand zum Boden gemessen werden. "Da haben die Leute völlig pragmatisch einen kleinen Stock genommen, ihn in der richtigen Höhe abgeknickt und ihn für die spätere Arbeit in der Werkstatt in die Hosentasche gesteckt. Einen Zollstock hatten sie noch nie gesehen."

Werkeln als Weg in den Job

Die Arbeit in den Werkstätten ist freiwillig. Wer mag, kann wie Teklu vor oder nach dem Sprachunterricht in der Werkstatt etwas für sich oder den Integrationsstützpunkt bauen und dabei grundlegende Fähigkeiten mit Werkzeugen, Werkbänken, Maschinen und Materialien erwerben. "Auf diese Weise können sie anschließend leichter in Ausbildung und Beruf integriert werden", sagt der Handwerkspastor der hannoverschen Landeskirche, Claus Dreier, der das Projekt unterstützt. "Sie erfahren dabei Wertschätzung und erleben Gemeinschaft." Außerdem könnten sie eigene Kompetenzen wahrnehmen und zeigen.

Jane Hruska berät die Bewohner bei ihrer weiteren Entwicklung. Von den Integrationslehrern und den Praxisanleitern erhält sie wöchentliche Berichte, die ihr helfen, die Menschen einzuschätzen. Werden bereits vorhandene Kompetenzen festgestellt oder Talente erkannt, könne die weitere Förderung viel besser geplant werden.

Geert-Walter de Boer hat großen Respekt vor seinen Schützlingen. "Die sind unter Lebensgefahr durch die Wüste und übers Mittelmeer vor dem Krieg geflohen. Das war kein Wandertag." Um in Deutschland zurechtzukommen, bräuchten sie ein wenig Unterstützung. "Aber ein Motivationsproblem haben sie nicht."

Jörg Nielsen

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