Ausgabe 10/2017 - 10.03.2017
Luxemburg, Berlin (epd). Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, nach dem EU-Staaten keine humanitären Visa für Flüchtlinge erteilen müssen, ist auf Kritik bei Menschenrechtlern und Sozialverbänden gestoßen. Pro Asyl sprach von einem "traurigen Tag für den Flüchtlingsschutz", die Diakonie von einer "vertanen Chance". Organisationen hatten gehofft, mit der Verpflichtung zur Ausstellung humanitärer Visa Flüchtlingen legale und ungefährliche Wege in die EU zu eröffnen. Diese Verpflichtung hätten die Mitgliedstaaten aber nicht, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 7. März in Luxemburg. (AZ: C-638/16 PPU) (Weitere Informationen zum Urteil unter der Rubrik Sozial-Recht)
Nach der Entscheidung der Richter steht es den Mitgliedsstaaten weiterhin frei, selbst nach nationalem Recht zu entscheiden, ob sie von Folter und Tod bedrohten Flüchtlingen ein entsprechendes Visum erteilen. Damit scheiterte eine aus Aleppo stammende syrische Familie mit drei minderjährigen Kindern mit ihrer Klage.
Die Diakonie reagierte enttäuscht. Präsident Ulrich Lilie sagte in Berlin, er bedaure sehr, "dass der Gerichtshof nicht dem wegweisenden Votum des Generalanwalts Paolo Mengozzi gefolgt ist".
Lilie rief alle EU-Mitgliedstaaten zum Umdenken auf: "Legale Einreisemöglichkeiten für Schutzsuchende sind für das Menschenrecht auf Asyl unabdingbar." Der Theologe verwies zudem darauf, dass ein solcher legaler Zugang in die EU Menschenleben retten würde: "2016 sind mit über 5.000 Toten so viele Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben wie nie zuvor."
Der Verbandspräsident forderte europaweit humanitäre Einreisevisa und den Ausbau von Resettlementprogrammen für Flüchtlinge. "Auch die erfolgreichen Bundes- und Landesaufnahmeprogramme in Deutschland müssen weitergeführt werden", unterstrich Lilie.
Die Grünen im Europaparlament appellierten an die Mitgliedsstaaten, trotz des Urteils solche Visa verstärkt einzusetzen. Das Urteil sei keineswegs eine Absage an humanitäre Visa, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Ska Keller. Sie forderte die Regierungen der EU-Staaten auf, solche Zugänge im EU-Recht zu verankern.
Die Innenexpertin der CDU/CSU-Gruppe im Europarlament, Monika Hohlmeier (CSU), begrüßte das Urteil. Botschaften und Konsulate wären andernfalls zu "Asylbehörden zweckentfremdet worden", sagte sie. Dennoch räumte sie ein, humanitäre Visa gehörten zu den wichtigen Instrumenten einer modernen Asylpolitik. Eine bessere Umsetzung müsse gewährleistet werden und im Rahmen des Asylpakets festgeschrieben werden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt kritisierte dagegen die Entscheidung der Luxemburger Richter. Er halte es für zynisch zu sagen, die Menschen hätten Anrecht auf Asyl, das sie aber nur unter Lebensgefahr und mithilfe krimineller Schlepper geltend machen könnten. Er werde sich dafür einsetzen, dass Deutschland die Möglichkeit humanitärer Visa nutze, sagte er.