sozial-Politik

Behinderung

Debatte über Sexualität in Heimen



Forderungen aus den Reihen der Grünen nach Sex auf Rezept für pflegebedürftige und behinderte Menschen stoßen auf breite Ablehnung. Das Recht auf Sexualität für behinderte Heimbewohner wird indes von Sozialexperten einmütig betont.

Das Bundesgesundheitsministerium wies den Vorschlag, Sex auf Kosten der Krankenkassen zu ermöglichen, am 9. Januar ebenso zurück wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Elisabeth Scharfenberg, hatte gefordert, Pflegebedürftigen und schwer Kranken Sex mit Prostituierten zu bezahlen. In den Niederlanden sei das bereits Praxis.

GKV-Geld nur für Erkrankungen

Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums erklärte dazu in Berlin, eine solche sexuelle Leistung sei weder Bestandteil der Grund- noch der Behandlungspflege. "Die Leistungen der Krankenkassen, die zu einem großen Teil durch Beiträge der Versicherten finanziert werden, sind auf behandlungsbedürftige Erkrankungen gerichtet", betonte die Sprecherin.

Sie verwies zudem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts zur Verordnung des Arzneimittels Viagra (Az.: B 1 KR 10/11 R). Die Richter hatten entschieden, dass aus dem Selbstbestimmungsrecht eines Patienten kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen folge.

Der SPD-Politiker Lauterbach sagte: "Prostitution auf Rezept ist der falsche Weg." Es gebe keinen Grund, Dienste von Prostituierten für Menschen mit Behinderungen oder Pflegebedürftige von den Kassen erstatten zu lassen. Es sei aber wichtig, anzuerkennen, dass behinderte und pflegebedürftige Menschen, die in Heimen leben, ein Recht auf Sexualität hätten. "Was wir brauchen, ist mehr Intimität für die Heimbewohner."

Schutz der Privatsphäre

Die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Pia Zimmermann, hält es für richtig, dass auch "Menschen mit hohem Pflegebedarf ein selbstbestimmtes Sexualleben ermöglicht werden muss". Allerdings dürfe diese Debatte nicht von den Missständen in der Pflege ablenken. "Die allermeisten Menschen mit Pflegebedarf wünschen sich eine gute pflegerische Versorgung mit ausreichend Zeit, sowie die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und dass die Angst entfällt, aufgrund ihres Pflegebedarfs zu verarmen oder ihre Familien zu belasten", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Bernhard Schneider, Vorsitzender des Deutschen evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege Devap, erklärte die Forderung nach Sex auf Krankenschein zu "Unsinn". "Mit dem Thema Sexualität im Alter gehen wir offen um." Der Einsatz von Prostituierten sei jedoch keine Lösung, "schon gar nicht auf Krankenschein - das ist ja absurd", sagte der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg dem epd.

"Im Einzelfall mag es auch zu schwierigen Situationen kommen, mit denen Pflegekräfte dann professionell umgehen müssen. Das ist aber bei anderen herausfordernden Verhaltenswesen, wie z.B. einer demenziell bedingten Aggressivität oder bei psychischen Erkrankungen auch so." Wenn einzelne Bewohner in den Pflegeheimen eine sexuelle Dienstleistung wünschen, dann müsse diese aus der eigenen Tasche bezahlt werden. "Selbstverständlich kann jeder Heimbewohner in seinem Zimmer den Besuch empfangen, den er oder sie möchte", erklärte Schneider.

Im Übrigen, ergänzte der Devap-Chef, sehe er "hier kein großes und flächendeckendes Problem". Da gebe es andere Themen wie etwa die Unterfinanzierung der Pflege. "Wir brauchen also keine ‚Sexualassistenten auf Krankenschein‘, sondern mehr gut qualifiziertes Pflegepersonal, das von der Pflegeversicherung auch voll zu finanzieren ist."

Sexualität als Störfaktor

Auch bei den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, einem der bundesweit größten Anbieter von Einrichtungen für Pflegebedürftige und Behinderte, stößt Scharfenbergs Vorschlag auf Skepsis. "Ich glaube, es ist nicht Angelegenheit des Staates, dies zu regeln und zu finanzieren", sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung Bethel.regional, Michael Conty, dem epd.

In den Behindertenheimen des evangelischen Diakonieunternehmens Bethel haben laut Conty alle Bewohner Einzelzimmer. Und hier gelte: "Was in den Zimmern geschieht, geht uns nichts an, solange es nicht gegen die Gesetze oder gegen die Hausordnung verstößt." Der Besuch von Prostituierten sei nicht verboten. Ihm sei aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit bei Bethel nicht bekannt, dass dies jemals zu einem Problem geführt hätte, sagte Conty.

Hingegen hat die Organisation pro familia nach eigenen Angaben "Kenntnis darüber, dass in Einrichtungen der Behinderten, Alten- und Krankenpflege Sexualität oft gar nicht gelebt werden kann". Sie werde häufig als Störfaktor wahrgenommen.

NRW-Ministerium: kein Handlungsbedarf

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe betonte für geistig behinderte Menschen ein "selbstverständliches Recht auf Sexualität". Dazu müssten Betreuungspersonen und Einrichtungsträger "einen Raum schaffen", sagte der Sprecher der Organisation, Peer Brocke. Geistig Behinderte müssten in ihrem Wunsch nach Sex unterstützt werden. Dazu gehörten auch Aufklärung und Schutz vor Missbrauch.

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium reagierte zurückhaltend auf die Forderung Scharfenbergs. Da die Kommunen bereits heute in Einzelfällen Sexualassistenz finanzieren könnten, sehe man aktuell keinen Handlungsbedarf, sagte Ministeriumssprecher Christoph Meinerz dem epd in Düsseldorf.

Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) sagte dem epd: «'Sex auf Rezept' kann es nicht geben, ein solches Angebot würde auch den Bedürfnissen der Menschen mit und ohne Behinderungen nicht gerecht.» Anbieter von Leistungen für behinderte Menschen hätten in den vergangenen Jahren begonnen, deren persönliche Bedürfnisse «ebenso ernst zu nehmen wie den Wunsch, gut zu essen und selbstbestimmt zu wohnen», sagte die Ministerin.

Markus Jantzer, Tanja Tricarico

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