Ausgabe 48/2017 - 02.12.2016
Stuttgart (epd). Hartz-IV-Bezieher dürfen wohnungslos bleiben. Jobcenter können sie nicht per Bescheid verpflichten, sich eine Wohnung zu suchen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 24. November bekanntgegebenen Urteil. Weigert sich der Wohnsitzlose, eine entsprechende Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, verstößt ein daraufhin erlassener Bescheid zur Wohnungssuche gegen das Selbstbestimmungsrecht des Hilfebedürftigen,
Damit bekam ein 60-jähriger wohnsitzloser Hartz-IV-Empfänger recht, der im Bodenseeraum lebt. Der Mann übernachtet nach eigenen Angaben seit 2010 in einem offenen Pritschenwagen. Das Jobcenter hatte sich in der Vergangenheit geweigert, die Kosten für die Kfz-Versicherung und eine Heizkostenpauschale als Unterkunftskosten zu übernehmen. Ein offener Pritschenwagen sei nicht als Unterkunft geeignet, ein "Mindestmaß an Privatsphäre" werde mit dem Fahrzeug nicht gewährleistet. Das LSG hatte dies in einem Urteil vom 10. Mai 2016 auch bestätigt.
Die Behörde wollte den Hartz-IV-Bezieher nun allerdings per Eingliederungsvereinbarung zur Wohnungssuche bewegen. Denn ohne Dach über den Kopf sei er nur schwer in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Als der Mann die Wohnungssuche verweigerte und weiter in seinem Fahrzeug leben wollte, verpflichtete das Jobcenter ihn per Bescheid, sich eine Bleibe zu suchen.
Das LSG entschied, dass das Jobcenter mit seiner verpflichtenden Wohnungssuche "das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht" des Hartz-IV-Beziehers verletzt. Ein Hartz-IV-Bezieher dürfe nicht ohne Weiteres in einem Eingliederungsverwaltungsakt zur Wohnungssuche verpflichtet werden. Denn eine Eingliederungsvereinbarung sei nach dem Gesetz nur auf "die Eingliederung in den Arbeitsmarkt" gerichtet.
Auch wenn sich mit einer Wohnung die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhöhen, fehle "für die Verpflichtung zur Wohnungssuche das erforderliche, unmittelbar arbeitsmarktbezogene Moment", erklärten die Stuttgarter LSG-Richter.
Az.: L 9 AS 4164/15
Az.: L 9 AS 5116/15 (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 10. Mai 2016)