Ausgabe 25/2016 - 24.06.2016
Braunschweig, Freiburg (epd). Die Altenpflege in Deutschland ist aus Sicht des Freiburger Altersforschers Thomas Klie zu stark vom wirtschaftlichen Konkurrenzkampf dominiert. Einrichtungen und Anbieter stünden in einem ständigen Wettbewerb, sagte der Gerontologe am Rande einer Tagung der evangelischen Altenhilfe in Niedersachsen in Braunschweig dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das führe dazu, dass eigentlich keiner mehr die Gesamtverantwortung dafür trage, dass ein Mensch rund um die Uhr versorgt werde.
Die Folge seien schlimmstenfalls auch "menschenrechtliche Probleme", warnte der Wissenschaftler. Etwa 20 Prozent der Demenzkranken, die zu Hause versorgt würden, seien eingesperrt oder mit Medikamenten ruhiggestellt.
Deutschland habe im internationalen Vergleich eine hohe Quote pflegender Familienangehörigen, erläuterte Klie. Die Aufgabe werde mehrheitlich von Frauen wahrgenommen. Künftig werde allerdings auch aufgrund der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen eine immer größere Lücke klaffen zwischen denjenigen, die auf Pflege angewiesen seien, und denen, die diese Aufgabe noch übernähmen.
Viele pflegende Angehörige mache diese Aufgabe krank und depressiv, mahnte der Wissenschaftler der Evangelischen Hochschule Freiburg. Zudem würden im Jahr 2030 den Prognosen zufolge allein in der stationären Langzeitpflege schätzungsweise eine halbe Million Pflegekräfte fehlen. Die Reform der Pflegeversicherung, die er grundsätzlich begrüße, gehe auf viele dieser Probleme noch nicht ein. Neue politische Konzepte würden dringend gebraucht.
Bei der Altenpflege sollte sich Deutschland etwa stärker an kommunalen Strukturen orientieren, forderte Klie. Nur wenn der unterschiedliche Unterstützungs- und Pflegebedarf in den Regionen berücksichtigt werde, könne die Pflege dort künftig gesichert werden. Skandinavische Länder oder die Niederlande, die dieses Konzept bereits umsetzten, stünden sehr viel besser da.
Klie sprach bei der Jahrestagung des Niedersächsischen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege (NEVAP). Zu dem Fachverband gehören 170 Träger mit 293 ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen.