Ausgabe 13/2016 - 01.04.2016
Essen (epd). Ganz gleich, um was es im Berufsleben geht: Der Schlichtungsstelle des Caritasverbandes für das Bistum Essen ist kein Fall fremd. Kündigungen, verweigerte Gehaltserhöhungen, zu viele Überstunden oder sexuelle Belästigung: Seit Januar 1996 wurden knapp 1.000 Fälle geschlichtet. Wie das geschieht und worauf es dabei ankommt, erläutert Professor Bernd Andrick im Gespräch mit Dirk Baas.
epd sozial: Herr Andrick, Sie haben innerhalb von 20 Jahren Ihrer Tätigkeit als Leiter der Caritas-Schlichtungsstelle im Bistum Essen knapp 1.000 Verfahren geschlichtet. Diese hohe Zahl überrascht. Sind die Caritas-Mitarbeiter besonders streitlustig?
Bernd Andrick: Nein, davon kann nicht die Rede sein. Wenn man die Gesamtzahl der Verfahren auf die Jahre verteilt, sind es etwa 50 Verfahren pro Jahr. Bei einem Volumen von rund 25.000 Mitarbeitern in den karitativen Einrichtungen des Bistums relativieren sich die Zahlen. Hinzu kommt, dass nach den Arbeitsvertragsrichtlinien die Schlichtungsstelle bereits bei Meinungsverschiedenheiten angerufen werden kann. Etwa, wenn man bei einer Rechtsfrage unterschiedlicher Auffassung ist, aber keineswegs die Anrufung des Arbeitsgerichts beabsichtigt.
epd: 90 Prozent der Fälle wurden erfolgreich gelöst. Wie definieren Sie denn "Erfolg" und sehen das die beteiligten Streitparteien auch so?
Andrick: Erfolg ist dann gegeben, wenn man eine Meinungsverschiedenheit gütlich beilegt. Und er ist auch darin zu sehen, dass sich die Schlichtungsstelle zu einer offenen Rechtsfrage positioniert und das von den Parteien akzeptiert wird. Ein Erfolg ist es schließlich auch, wenn die Parteien, mit denen man keine Einigung erzielen konnte, sich auf der Grundlage der zunächst für gescheitert erklärten Schlichtung anschließend auf eine den Streit beendende Lösung verständigen.
epd: Mit was für Nöten der Beschäftigten haben Sie zu tun? Unterscheiden sich die Beschwerden inhaltlich von denen in anderen Unternehmen?
Andrick: Nein, die Meinungsverschiedenheiten betreffen das gesamte Arbeitsrecht. Der Bogen reicht von den Kündigungen über Abmahnungen, Vergütungsfragen, Arbeitszeit bis hin zum Mobbing. Einen Unterschied zu anderen Unternehmen kann ich nicht erkennen, weil sich die arbeitsrechtlichen Probleme in allen Bereichen des Arbeitslebens widerspiegeln.
epd: Trotz Datenschutz: Was war der ungewöhnlichste Fall, an den Sie sich erinnern?
Andrick: Selten, dafür aber besonders signifikant sind Kündigungen auf der Führungsebene, etwa bei Chefärzten oder Geschäftsführern. Die in diesen Fällen vorgeworfenen Pflichtverletzungen sind nicht alltäglich, sondern fallen schon aus dem alltäglichen Rahmen heraus.
epd: Gemeinhin bringt man den kirchlichen Bereich, also Caritas und Diakonie, nicht gleich mit arbeitsrechtlichen Streitigkeiten in Verbindung. Ein Trugschluss?
Andrick: Im karitativen wie im diakonischen Bereich findet sich ebenso wie etwa bei Gewerkschaften der Alltag des Arbeitsrechts. Insofern sind konfliktträchtige Sichtweisen zu arbeitsrechtlichen Fragen bei uns auch nicht ungewöhnlich.
epd: Warum blickt die Öffentlichkeit hier genauer hin als andernorts? Und wie funktioniert die Schlichtung unter dem Brennglas?
Andrick: Gemeinhin besteht die Auffassung, im karitativen und diakonischen Bereich könne es wegen der diesen Institutionen innewohnenden menschenfreundlichen Wesensarten keine Konflikte geben. Zwar sind die Schmerzgrenzen der karitativen Einrichtungen mit Blick auf die Interessen der Beschäftigten regelmäßig großzügig. Aber irgendwann werden auch sie überschritten mit der Folge arbeitsrechtlicher Reaktionen. In der Schlichtung wird dann ausgelotet, wem bei Würdigung der unterschiedlichen Interessenlagen was zugemutet werden kann.
epd: Verspüren Sie und Ihre Kollegen einen besonderen Druck, wenn etwa die Medien über die Streitfälle berichten?
Andrick: Weil die Schlichtungen in nichtöffentlicher Sitzung stattfinden, gelangen ihre Inhalte nicht in die Öffentlichkeit. Insofern entsteht kein Druck. Ist darüber aber bereits vorab berichtet worden, ist das für die Schlichtungsstelle ein besonderer Anreiz, eine befriedende Lösung herbeizuführen. Die Schlichtungsstelle ist darüber hinaus bemüht, den jeweiligen Streit möglichst aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. So soll vermieden werden, dass es zu verzerrten Sichtweisen über die Caritas kommt und die Institution in ihrer Reputation Schaden nimmt.
epd: Oft lässt sich eine Kündigung gar nicht vermeiden. Wie vermeidet Ihre Schlichtung den Gang vor das Arbeitsgericht?
Andrick: In den meisten Fällen gelingt in der Schlichtungsverhandlung ein Vergleich. Die Schlichtungsstelle investiert viel Zeit für eine Verhandlung und besitzt durch ihre beiden Beisitzer von der Dienstnehmer- und Dienstgeberseite die besonderen Fachkenntnisse zu den spezifischen Bereichen der karitativen Einrichtungen. Hierdurch erschließen sich die Probleme des Falles, die es durch einen interessengerechten Vergleichsvorschlag zu lösen gilt.
epd: Aber was passiert, wenn die Schlichtung doch scheitert? Bleibt dann nur noch der Gang vor Gericht?
Andrick: Nein, nicht zwingend. Es kommt auf den Fall an. Das Scheitern der Schlichtungsverhandlung bedeutet nicht zwingend den Gang zum Arbeitsgericht. Aber manchmal findet er statt.