Ausgabe 13/2016 - 01.04.2016
Koblenz, Landau (epd). Erst wurden die Heimkinder verwaltet, dann vergessen: Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie eines Teams um den Koblenzer Erziehungswissenschaftler Christian Schrapper zur Geschichte der Heimerziehung in Rheinland-Pfalz von 1945 bis 1975. Der Heimaufenthalt der Kinder in der Nachkriegszeit sei vielfach von traumatisierenden Lebens- und Erziehungsverhältnissen geprägt gewesen, teilte der Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau am 30. März mit. Schrapper war Mitglied des Runden Tischs "Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren" in Berlin.
Für das Buch "Verwaltet und vergessen" mit Fotos, Briefen sowie anderen Originaldokumenten seien rund 5.000 Einzelfallakten ausgewertet worden, heißt es. Demnach kommen die Wissenschaftler zum Schluss, dass die Heimerziehung nicht generell Unrecht gewesen sei. Unrecht sei allerdings vielfach begünstigt, zugelassen und nur unzureichend unterbunden worden. Zeitzeugen erzählen von zahlreichen Rechtsverstößen in der Heimerziehung, die oft auch nach damaliger Rechtslage nicht mit dem Gesetz vereinbar waren. Zudem erinnern die Betroffenen an positive Erlebnisse.
In Rheinland-Pfalz lebten bis in die 1980er Jahre einige hundert Jungen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren in drei landeseigenen Heimen der Jugendfürsorge, deren Geschichte bisher kaum dokumentiert ist. Auch in der offiziellen Geschichtsschreibung zur Sozialpolitik des Landes komme die Jugendfürsorge mit ihren Einrichtungen kaum vor, heißt es. In Deutschland waren von 1949 bis 1975 mehr als 700.000 Minderjährige in Säuglings-, Kinder- und Jugendheimen untergebracht.
Literatur: "Verwaltet und vergessen. Erinnerungen an staatliche Heimerziehung in Rheinland-Pfalz 1945 bis 1975", hrsg. von Sabine Imeri, Christian Schrapper und Claudia Ströder, 272 Seiten, Panama Verlag, Berlin 2016, ISBN:978-3-938714-50-8. Die Zeitzeugengespräche sind zudem auf einer beiliegenden DVD filmisch dokumentiert.