sozial-Politik

Autismus

Wenn das Kind einfach anders tickt




Autistische Kinder werden von ihrer Umwelt oft in Abwehrhaltung erlebt.
epd-bild/Meike Boeschemeyer
Als Kind eckte Karsten Wellinghoff immer wieder an, musste mehrfach die Schule wechseln. Die Eltern litten, Lehrer fühlten sich überfordert. Die Diagnose war dann fast eine Erleichterung: Asperger-Autismus. Mit der Therapie begann ein neues Leben.

Schulwechsel sind für ihn ein Horror. Karsten Wellinghoff (Name geändert) ist es einfach nie gelungen, wieder Anschluss zu finden. "Dabei tue ich niemandem etwas. Ich habe immer nur versucht, irgendwie dabei zu sein", sagt der 16-Jährige. Doch Karsten gibt zu, dass die Umwelt ihn wohl immer in Abwehrhaltung erlebt habe. Er senkt den Kopf. Er hat eine Odyssee hinter sich - einfach weil er schon als Kleinkind anders tickte als seine Altersgenossen. Beim ihm liegt das Asperger-Syndrom vor, eine Autismus-Störung.

Schwierigkeiten mit sozialem Verhalten

Am 2. April, dem Welt-Autismus-Tag der Vereinten Nationen, soll für die angeborene und unheilbare Entwicklungsstörung sensibilisiert werden. Bei Autisten ist die Wahrnehmung und die Informationsverarbeitung des Gehirns verändert. Sie haben Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, mit ihnen zu kommunizieren und soziale Verhaltensregeln einzuhalten.

Karsten Wellinghoffs Erinnerungen wiegen schwer: Irgendwann warf ihn eine Schülergruppe die Treppe hinunter. Dann kamen Kinder zu seinem Haus, warfen eine Plastikflasche durchs Fenster. "Das war der Alptraum. Er wollte überhaupt nicht mehr zur Schule gehen. Ich hatte Angst, dass mein Sohn Suizidgedanken bekommt", sagt seine Mutter.

Die ersten Jahre auf wechselnden Schulen seien schlimm gewesen, vor allem die Ignoranz der Lehrer. "Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut", erzählt die Mutter. In der Förderschule war Karsten unterfordert. In der Regelschule sprach die Schulpsychologin von Überforderung.

Autismus wird oft spät erkannt

Karsten Wellinghoff sei beeinträchtigt in der Kommunikation und sozialen Interaktion, besitze aber gute sprachliche Fähigkeiten und eine hohe Intelligenz, erklärt die Bonner Therapeutin Monika Stölting. Asperger-Autisten wie er verfügen meist über normale kognitive Begabungen, einige sind auch hochbegabt. Nur ihr Sozialverhalten wird von anderen als schwierig empfunden. Darum wird der Autismus bei ihnen oft erst spät erkannt.

In Europa geht man nach Angaben des Bundesverbands Autismus Deutschland e.V. von mindestens sechs Autisten auf 1.000 Kinder aus. Dabei kann Autismus, wie etwa bei dem von Dustin Hoffmann in dem Film "Rain Man" gespielten Rechengenie, durchaus sogenannte Inselbegabungen freisetzen. Generell habe ein Mensch mit einer Autismus-Spektrum-Störung ein hohes Bedürfnis nach festen Abläufen und Strukturen, er lebe eine andere Emotionalität, erklärt die Therapeutin.

"Naja", sagt Karsten, "irgendwie habe ich mich schon immer als Sonderling gesehen." Er sei eben introvertiert. Ein halbes Jahr lang wurde er einfach nur krankgeschrieben - bis bei ihm endlich das Asperger-Syndrom erkannt wurde. Letztlich, sagt Karstens Mutter, sei die Diagnose eine befreiende Nachricht gewesen. Endlich wusste die Familie, was los war.

"Asperger ist keine Krankheit"

Tagsüber ging Karsten Wellinghoff nun zunächst in eine jugendpsychiatrische Einrichtung. Und lernte, sich zu sagen: "Ich muss erreichen, mit dem Asperger zu leben. Das ist keine Krankheit." Über das Jugendamt erhielt die Familie eine ambulante Eingliederungshilfe für Jugendliche mit seelischer Beeinträchtigung. Die Therapeutin war von nun an für die autismusspezifische Förderung und Beratung der ganzen Familie verantwortlich. Später kam eine Gruppentherapie hinzu.

"Wir haben immer wieder Alltagssituationen aufgegriffen, die für Karsten schwierig waren, um einen sozial kompatiblen Plan B aufzubauen", erklärt Therapeutin Stölting. So habe man gemeinsam immer wieder überlegt, wie der Junge oder seine Familie der Umwelt seine oft stereotypen Verhaltensmuster im Nachhinein erklären könnten. Den Autismus zu verstehen und trotz großer Ängste ein positives Selbstbild aufzubauen, das sei der Ansatz in der Förderung gewesen.

Die Therapie hat die ganze Familie erleichtert: "So haben wir es geschafft, Karsten nie aufzugeben und ihn so anzunehmen, wie er ist", sagt die Mutter. Der Junge nimmt heute wieder am Schulunterricht teil.

Karsten geht heute auf Menschen zu

"Inzwischen komme ich super klar", sagt Karsten. Er ist stolz und träumt davon, das Abitur anzugehen. Er geht inzwischen sogar ein wenig auf Menschen zu. "Die soziale Interaktion ist jetzt einfacher", berichtet er und muss selbst lachen über seine Fachsprache. Ob er es aber irgendwann schaffe, allein zu wohnen - er ist sich nicht sicher.

Ebba Hagenberg-Miliu

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Investitionen für mehr Kita-Plätze

Nordrhein-Westfalen hat ein Investitionsprogramm in Höhe von 100 Millionen Euro gestartet, mit dem das Angebot an Kita-Plätzen für drei- bis sechsjährige Kinder ausgeweitet werden soll. Alle Jugendämter im Land könnten ab sofort Investitionsfördermittel zum Bau neuer Kita-Plätze für über-dreijährige Kinder beantragen, teilte das Familienministerium am 24. März in Düsseldorf mit.

» Hier weiterlesen

CDU-Staatssekretär für Grundrente

Der saarländische Sozialstaatssekretär Stephan Kolling (CDU) hält eine Grundrente für langjährige Beitragszahler auf Grundsicherungsniveau für möglich. "Es kann nicht sein, dass Menschen am Lebensende in Armut verfallen", erklärte er am 30. März in Saarbrücken. Vor allem Witwen und Selbstständige lebten oft unter dem Grundsicherungsniveau "und schämen sich, eine Aufstockung beim Sozialamt zu beantragen".

» Hier weiterlesen

Neuer Pflege-TÜV soll Selbstständigkeit stärken

Eine neue Verordnung für Hamburger Pflegeeinrichtungen soll helfen, die Selbstständigkeit der Bewohner zu stärken. "Pflegebedürftige Menschen benötigen zwar Hilfe zur Bewältigung ihres Lebens, wollen und können in den meisten Fällen aber noch selbst bestimmen, was ihnen wichtig ist", sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) am 29. März bei der Vorstellung. Die Ergebnisse der Prüfungen werden künftig im Internet veröffentlicht, um Pflegebedürftige und Angehörigen bei der Wahl einer Einrichtung zu unterstützen. Die Verordnung tritt am 1. April in Kraft und soll die Kontrollen der Wohn-Pflege-Aufsicht einheitlich regeln.

» Hier weiterlesen