Ausgabe 10/2016 - 11.03.2016
Dortmund (epd). Christian Lüring hat nicht viel Zeit. Gleich muss der Direktor der Orthopädischen Klinik in Dortmund wieder in den Operationssaal zurückkehren. Ein Patient soll ein neues Kniegelenk bekommen. Eigentlich ist das Alltag im Leben eines Chirurgen. In Dortmund gibt es aber einen großen Unterschied zur herkömmlichen OP-Technik: Denn viele Prothesen, die Lüring seinen Patienten implantiert, stammen aus einem 3-D-Drucker. Allein an diesem Wintertag werden zwei Patienten den OP-Saal mit Implantaten aus dem Drucker verlassen.
"Die Idee ist, dass wir das Implantat optimal auf den Patienten anpassen können", sagt Lüring. Er vergleicht die Technik mit "einem Maßanzug", der dem Menschen auf den Leib geschneidert wird. Darin sieht er einen großen Vorteil. Denn jeder Patient ist anders und hat einen anderen Körperbau. Besonders für Patienten mit medizinischen Besonderheiten - für extrem große oder kleine Patienten sei die Technik interessant, sagt der Arzt. Bislang muss der Operateur aus mehreren Standardgrößen auswählen.
Vor der Operation wird dabei das Knie des Patienten im Computertomographen vermessen. Die Daten werden dann zu einer Firma in den USA geschickt, die die Prothese druckt - Schicht auf Schicht entsteht so aus Chrom-Kobalt das Implantat. Mehr als 350 Prothesen aus dem Drucker hat Lüring in den zurückliegenden drei Jahren implantiert. Kostenpunkt: Rund 2.200 Euro pro Implantat und damit etwa 1.000 Euro mehr als eine herkömmliche Prothese.
Die Euphorie über die neue Medizintechnik ist groß. "3-D-Druck in der Medizin hat bereits eine wichtige Position eingenommen und wird diese weiter ausbauen", urteilt Jens Günster von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin. Vorteile seien die "individualisierte Fertigung und die Möglichkeit, Teile mit sehr hoher Komplexität zu fertigen". Theoretisch lässt sich aus dem 3-D-Drucker jedes erdenkliche Ersatzteil des menschlichen Körpers herstellen. Auch Massenproduktion sei hier möglich. Verwendet werden sowohl Metalle als auch Keramiken.
Geforscht wird derzeit etwa an Zahnersatz oder Herzklappen aus dem Drucker. Erst vor kurzem hat ein Dresdner Start-up-Unternehmen im 3-D-Druck hergestellte Hand- und Fußprothesen vorgestellt. In Zürich ist es Medizinern inzwischen gelungen, mit Hilfe eines 3-D-Druckers Haut aus körpereigener DNA zu produzieren. Und in Großbritannien haben Ärzte im vergangenen Jahr einem jungen Mann nach einem Autounfall sein Gesicht mit Teilen aus einem 3-D-Drucker rekonstruiert. Ob sich ganze Organe jemals im Drucker reproduzieren lassen, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander.
In den USA bereiten Herz-Chirurgen komplizierte Operationen mit Hilfe eines 3-D-Modells vor. Inzwischen gibt es auch Projekte, die mit Hilfe des 3-D-Drucks Prothesen möglichst vielen Menschen zugänglich machen wollen. Ein solches Projekt ist das "Open Hand Project". Der Erfinder, Joel Gibbard aus Bristol, hat dabei eine Roboter-Handprothese entwickelt, die sich auch Menschen mit weniger Geld leisten können sollen. Sowohl 3-D-Druck als auch das Kunststoff als Material halten dabei die Kosten verhältnismäßig niedrig.
Eine Unsicherheit gibt es allerdings noch: "Wir haben noch keine Langzeiterfahrungen", räumt Lüring mit Blick auf die Prothesen, die in Dortmund implantiert werden, ein. Dazu ist die Technologie noch zu jung. Erst in zehn bis zwölf Jahren seien hier Ergebnisse zu erwarten, sagt Lüring. Er selbst rechnet nicht damit, dass die gedruckten Implantate weniger lang halten als die herkömmlichen.