sozial-Politik

Migration

Jugend

Im Namen der Ehre




Mustafa El-Chami (l.) als Vater und sein Cousin Yusef Chahin als Sohn bei einem Rollenspiel des Projekts "Heroes" in der Klasse 9c des Gymnasiums Nordost in Essen
epd-bild / Stefan Arend
Seit den Übergriffen an Silvester wird über abwertende Frauenbilder und patriarchales Denken unter Zugewanderten diskutiert. Das Projekt "Heroes" vermittelt Jugendlichen aus "Ehrenkulturen" an Schulen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

Ein Rollenspiel über den Alltag, irgendwo in Deutschland: "Wo ist deine Schwester?", schreit der Vater. "Ich weiß nicht, Baba", erwidert der Sohn und bekommt eine Ohrfeige. "Sie treibt sich rum, ohne dass du aufpasst? Sofort holst du sie!" Der Sohn gehorcht, ruft einen Freund an, der die Schwester auch gesehen hat - mit Freundinnen am Marktplatz.

"Komm nach Hause, Baba ist sauer", spricht er sie an. Sie will nicht, sagt, dass sie gerade erst gekommen sei. Der Freund greift ein: "Du lässt sie so mit dir reden? Sie ist ein Mädchen, Mann, hast du keine Ehre?" Danach packt der Junge die Schwester am Handgelenk und reißt sie mit sich. - Nur ein szenisches Spiel, doch so könnte sich die Geschichte tatsächlich abspielen.

Diskussion über Geschlechterrollen

Mustafa El-Chami rückt sein Käppi wieder gerade. Der 20-jährige Gesamtschüler aus dem Duisburger Einwandererstadtteil Marxloh war gerade noch Vater und Freund im Rollenspiel. Jetzt schaut er in die Gesichter von Essener Neuntklässlern: "Und, Leute, Ehre gerettet? Oder seht ihr Opfer in der Geschichte?", fragt er in die Runde. Zusammen mit seinem Cousin Yusef Chahin und Sozialarbeiter Selim Asar ist er für das Projekt "Heroes" in die Klasse 9c des Gymnasiums Nordost gekommen.

"Unterdrückung im Namen der Ehre" ist das Thema, das die jungen Männer in die Klassenzimmer holen, in denen wie hier im Essener Norden viele Jungen und Mädchen sitzen, deren Familien aus Ländern mit starker Hierarchie zwischen den Geschlechtern und starren Geschlechterrollen kommen. Für Gleichberechtigung wollen sie hier werben, Geschlechterrollen aufzeigen - und diskutieren.

Das Projekt startete der Berliner Verein "Strohhalm" 2007 - als damals einziges Angebot zum Thema, das sich an Jungen aus Einwandererfamilien richtet. "Die Ehrvorstellungen zwingen ja auch Jungen in Rollen, die sie nicht selbst wählen", erklärt Selim Asar, der in Duisburg "Heroes" ausbildet.

Hautnah und auf Augenhöhe

Inzwischen gibt es in sieben Städten Gruppen nach dem Berliner Vorbild: Jungen aus einer Ehrenkultur lassen sich zu Heroes - Helden im Sinne von Vorbild - ausbilden und geben ihre Haltungen in Workshops an andere Jugendliche weiter, ganz hautnah und auf Augenhöhe.

Wie Yusef und Mustafa, die ein Jahr lang in ihrer Freizeit im Duisburger Jugendzentrum Zitrone erst kontrovers über Ehre, Familie und Religion diskutierten und dann Rollenspiele und Moderationen entwickelten, die Unterdrückung durch Ehre im Alltag entlarven.

"Damit sind wir auch in der eigenen Familie angeeckt", sagt Mustafa, dessen Familie aus Palästina kommt. "Einige haben es als Verrat an unser Kultur aufgefasst und vor allem haben wir ja auch Dinge im Familienalltag anders gemacht." Doch inzwischen seien die Eltern stolz auf den Einsatz ihrer Söhne.

"Das ist kein echter Respekt"

"Der Sohn ist Opfer", sagt jetzt der erste Junge aus der 9c: "Der Vater schlägt ihn, um Respekt einzufordern, aber er gehorcht aus Angst, das ist kein echter Respekt." Zustimmendes Gemurmel. "Aber er hat dann selbst die Schwester genauso behandelt, sie ist auch Opfer", kritisiert ein Mädchen. "Weil der Freund ihn aufgehetzt hat, erst hat der ja normal mit ihr gesprochen", sagt ein anderer.

So geht Beschützen nicht, finden alle. Aber: "Wovor muss die eigentlich beschützt werden, ist sie in Gefahr da - mit Freundinnen mitten in der Stadt?", fragt jetzt Yusef. "Warum wollen der Vater und der Freund, dass sie so behandelt wird? Und warum muss das eigentlich der Bruder machen, der hatte vielleicht gerade was anderes vor?"

Fragen, die viele Jugendliche im Alltag mit "Das ist halt so" beantworten. "Das wollen wir verändern", sagt Sozialarbeiter Asar. In der 9c nehmen die Schüler die Motive und Vorstellungen Stück für Stück auseinander. Die Leute könnten denken, dass die Schwester keine Jungfrau mehr ist, wenn sie alleine abends draußen ist. Und dann "ist die ganze Familie beschämt". Warum eigentlich? Und warum gilt das nicht für Jungen?

"Ich hatte vier Weiber am Wochenende, ich bin krass cool", sagt Yusef. "Und ich hatte vier Typen, ich bin eine ..." Die Schüler lachen, murmeln den Satz für sich zu Ende. "Ihr wisst, was ich meine: Gerecht ist das nicht", sagt Mustafa. Und schon Gerede könne für Mädchen gefährlich werden, "im Namen der Ehre wird im schlimmsten Fall gemordet".

Miriam Bunjes

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Grüne stellen Antrag gegen Missbrauch von Leiharbeit

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern und hat deshalb einen Antrag im Bundestag vorgelegt, berichtete das Parlament am 5. Februar.

» Hier weiterlesen

Freier Eintritt für Flüchtlinge löst Shitstorm aus

Das Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach im Taunus muss sich einer Flut von Hasskommentaren im Internet erwehren. Grund sei, dass Flüchtlingsgruppen und ihre Betreuer freien Eintritt hätten, teilte das Museum am 9. Februar mit. "Wir stehen zum Beschluss unseres Aufsichtsrats vom vergangenen September und sind der festen Überzeugung, dass durch diese Regelung niemand Schaden nimmt oder benachteiligt wird."

» Hier weiterlesen

Das Heroes-Projekt in Deutschland

Das Projekt "Heroes - gegen Unterdrückung im Namen der Ehre" startete 2007 nach schwedischem Vorbild in Berlin. Entwickelt wurde es vom Verein "Strohhalm", einer Fachstelle zur Prävention sexueller Gewalt. Die Initiative entstand vor dem Hintergrund heftig diskutierter Ehrenmorde, vor allem aber, "weil es in Deutschland überhaupt keine Angebote für Jungen aus Einwanderermilieus gab, die sich mit Geschlechterrollen und Ehrbegriffen auseinandersetzten", sagt Martina Krägeloh, Projektleiterin der Berliner Heroes.

» Hier weiterlesen