Rom, Köln (epd). Als Missbrauchsskandale der US-amerikanischen Kirche vor zwanzig Jahren die Weltöffentlichkeit erschütterten, beauftragte der damalige Papst Johannes Paul II. die vatikanische Glaubenskongregation mit der kirchenrechtlichen Aufarbeitung. Mit wachsendem Bewusstsein für die Schwere dieser "delicta graviora" verschärften seine Nachfolger die Regeln für den Umgang mit sexuellen Übergriffen auf Minderjährige und Schutzbedürftige sowie deren Vertuschung.
Bereits unter dem polnischen Papst wurde die Devise der "Null-Toleranz" ausgegeben. Doch auch die jüngste Verschärfung, die Papst Franziskus im vergangenen Jahr nach dem Missbrauchsgipfel im Vatikan erließ, lässt erhebliche Spielräume.
Vatikanische Kirchenrechtler betonen zwar, die Pflicht, Verdachtsfälle zu prüfen, gelte bereits seit dem Papstschreiben "Sacramentorum Sanctitatis Tutela" (Der Schutz der Heiligkeit der Sakramente) von 2001 von Papst Johannes Paul II. Der amtierende Papst verschärfte die Pflicht, in dem er in seinem Dekret "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) vom vergangenen Jahr unterlassene Meldungen an den Vatikan mit Strafen belegte. Doch die Kirchenrechtler im Vatikan sind überzeugt, dass der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki nicht verpflichtet war, einen Missbrauchsfall, von dem er 2015 Kenntnis erlangte, an die Glaubenskongregation zu melden.
Fall wurde während Zeit von Erzbischof Joachim Meisner bekannt
In dem Fall, in dem Woelki in der vergangenen Woche Vertuschung vorgeworfen wurde, erhielt das mutmaßliche Opfer 2011 eine Entschädigung. Nachdem Woelki 2014 Erzbischof von Köln wurde, verzichtete er darauf, die Untersuchung des Falls nachzuholen, die sein Vorgänger Joachim Meisner unterlassen hatte. Der beschuldigte Pfarrer sei aufgrund eines Schlaganfalls und fortgeschrittener Demenz nicht ansprechbar gewesen, teilte die Erzdiözese mit. Gleichzeitig habe der Anzeigeerstatter deutlich gemacht, er sehe sich nicht in der Lage, "sich weiter zur Sache zu äußern".
Für eine Klärung des Sachverhalts wäre aus Sicht der Erzdiözese "jedoch eine persönliche Konfrontation zwingend erforderlich gewesen". Eine Voruntersuchung muss laut Handbuch der Glaubenskongregation für den Umgang mit Missbrauchsfällen vom vergangenen Sommer "detailliertere Informationen hinsichtlich der Tatsachen, der Umstände und der strafrechtlichen Zurechenbarkeit sammeln".
Das Ergebnis einer solchen Voruntersuchung muss dem im Juli erlassenen "Vademecum zu einigen Fragen in den Verfahren zur Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger" zufolge an die Glaubenskongregation gemeldet werden. Im vorliegenden Fall sah Woelki sich nach Angaben der Diözese aufgrund mangelnder Möglichkeiten, beide Seiten anzuhören und miteinander zu konfrontieren, außer Stande, eine solche Untersuchung durchzuführen.
Keine Verpflichtung
Das "Vademecum" verpflichtet nicht dazu, auch dann die Glaubenskongregation zu informieren, wenn es nicht zu einer Voruntersuchung kommt, betont aber, es sei "ratsam", dies zu tun. Als Woelki nach Angaben des Bistums 2015 den Fall prüfte, informierte er Rom weder über den Fall noch über die Entscheidung, keine Voruntersuchung durchzuführen.
Woelki hat Papst Franziskus darum gebeten, die Vorwürfe gegen ihn zu klären. Auch der Münsteraner Bischof Felix Genn prüft gemäß dem kanonischen Recht als dienstältester Bischof der zuständigen Kirchenprovinz die Aufnahme kirchenrechtlicher Ermittlungen gegen seinen Amtsbruder.