Die Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Eva Schlotheuber, erwartet infolge der Corona-Pandemie, dass Fragen dem Sinn des Lebens wieder an Gewicht gewinnen. Die klassischen Kirchen würden von einer stärkeren Hinwendung der Menschen zum Glauben allerdings nicht profitieren, sagte Schlotheuber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (9. April). Die Corona-Krise ändere an deren Problemen nichts. "Vielleicht werden wir ganz neuartige religiöse Strömungen sehen", sagte die Universitätsprofessorin.

Pandemien "waren und sind immer wieder Ausgangspunkt von etwas grundsätzlich Neuem". Sie offenbarten "schonungslos die Schwächen des Status quo", sagte Schlotheuber. Daher werde auch das Coronavirus die gesellschaftlichen Paradigmen spürbar verschieben.

"Vor Überreaktionen hüten"

Wichtig sei es jetzt, "nüchtern zu bleiben und uns vor Überreaktionen zu hüten". Man wisse aus der Geschichte, dass Pandemien stets von Scharlatanerie, Hetze und Unruhen begleitet würden, sagte Schlotheuber: "Jede andere Annahme wäre naiv. Da sind wir alle gefragt gegenzuhalten."

Die Historikerin wandte sich gegen vorschnelle Schuldzuweisungen, wie etwa dem Kapitalismus einen Anteil zuzuschreiben. "Es ist erwartbar, wenn argumentiert wird, der Mammon sei letztlich an allem schuld", sagte sie und mahnte: "Denken Sie an die Judenverfolgungen und das Aufkommen der Legenden, dass sie die Brunnen vergiftet hätten in den Zeiten der großen Pest. Diese Stigmatisierung geschah auch vor dem Hintergrund ihrer großen Rolle beim Geldverleih."

Wichtig sei, die wirklichen Ursachen von Fehlentwicklungen in den Blick zu nehmen. Für denkbar halte sie, dass die globale Mobilität von Menschen und Waren stärker reflektiert wird.