Ärzte in Deutschland sollen nach Ansicht eines Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO "Kunst auf Rezept" verschreiben dürfen. "Komplexe Krankheiten lassen sich nicht allein mit einer Tablette oder einer Operation beseitigen", sagte Nils Fietje vom WHO-Regionalbüro für Europa dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Kopenhagen. Er empfiehlt, medizinische Behandlungen um kreative Aktivitäten wie Tanzen, Singen und Museumsbesuche zu ergänzen.

Es ist dem Experten zufolge erwiesen, dass Tanz-Therapien Menschen mit der Parkinson-Krankheit helfen, ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern. Bei der Lungenkrankheit COPD, die mit Atemnot einhergeht, helfe regelmäßiges Singen, die Lungenkapazität zu erweitern.

In Deutschland werden laut Fietje künstlerische Aktivitäten als Behandlungsformen in der Medizin bislang kaum eingesetzt. In der schwedischen Region Skane hingegen verschrieben Ärzte bereits "Kultur auf Rezept". In Großbritannien leiteten Ärzte Patienten an spezielle Sozialarbeiter weiter, sogenannte "link worker", die diese wiederum an künstlerische Aktivitäten heranführten, erklärte Fietje, der bei der WHO als Forschungsreferent für Kulturelle Kontexte von Gesundheit und Wohlbefinden arbeitet.

Museumsführungen für Demenzkranke

Auf lange Sicht sei das Verschreiben von "Kunst auf Rezept" für das deutsche Gesundheitssystem wirtschaftlich günstiger als die Beschränkung auf biomedizinische Behandlungen, fügte der 43-Jährige hinzu. "In Deutschland existieren die nötigen lokalen Strukturen häufig schon, sie müssten nur noch für diesen Bedarf umgewandelt werden." Museen könnten zum Beispiel spezielle Führungen für Demenzkranke anbieten.

Fietje betonte, dass es sich dabei nicht um Behandlungen für ein gehobenes Publikum handle. "Es geht nicht darum, hohe Kunst zu produzieren, sondern darum, überhaupt erst künstlerisch oder kulturell aktiv zu sein." So könne es sich schon positiv auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken, wenn eine Person regelmäßig lese, singe, male oder ins Theater gehe.

Einem jüngst veröffentlichten WHO-Bericht zufolge schlafen etwa Kinder, deren Eltern ihnen vor dem Einschlafen eine Geschichte vorlesen, länger und könnten sich in der Schule besser konzentrieren. Singen verbessere zum Beispiel die Aufmerksamkeit und geistige Fähigkeiten. Für den Bericht hat die WHO 900 englisch- und russischsprachige Publikationen zum gesundheitlichen Nutzen künstlerischer Aktivitäten ausgewertet.