Frankfurt a.M. (epd). Der Franzose Vincent Lambert lag nach einem Motorradunfall rund zehn Jahre lang im Wachkoma. Ob er sich gewünscht hätte, so lange künstlich am Leben erhalten zu werden, ist unklar. Seine Familie ist wegen dieser Ungewissheit heute zerstritten: Während seine Frau ihn "in Würde gehen lassen" wollte, beharrten die Eltern des inzwischen verstorbenen Patienten darauf, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu erhalten - es folgte ein jahrelanger Streit vor Gericht.
Das Familienzerwürfnis hätte Lambert verhindern können - wenn er seinen Willen in einer Patientenverfügung festgehalten hätte. Seit zehn Jahren können Bürger in Deutschland darin vorsorglich festlegen, ob und wie sie in bestimmten Situationen medizinisch behandelt werden möchten. Gut ein Drittel der Bevölkerung (35 Prozent) besitzt laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach eine Patientenverfügung. Weitere 43 Prozent der rund 1.300 befragten Personen gaben in der Allensbach-Umfrage an, noch eine Patientenverfügung verfassen zu wollen.
Alternative Vorsorgevollmacht
Mit der Patientenverfügung hat jeder die Möglichkeit, sich für den Fall zu wappnen, dass er sich einmal selbst nicht mehr äußern kann - etwa nach einem Unfall oder wegen einer schweren Erkrankung. "Das Dokument gibt dem Patienten ein hohes Maß an Sicherheit, dass sein Wille auch dann umgesetzt wird, wenn er ihn selbst nicht mehr artikulieren kann", sagte Benno Bolze, Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Doch bevor man eine Patientenverfügung erstellen kann, muss man wissen, welche Behandlung man wünscht und welche nicht. Möchte ich als bewegungsunfähiger Demenzkranker künstlich über eine Magensonde ernährt werden oder soll diese Maßnahme eingestellt werden? Möchte ich als Wachkoma-Patient bei einer Lungenentzündung noch ein Antibiotikum erhalten? Nicht jeder kenne eine Antwort auf solche Fragen, sagt Verena Querling von der nordrhein-westfälischen Verbraucherzentrale. "Viele Menschen haben keine Patientenverfügung, weil sie nicht entscheiden können, was sie wollen - und das ist so auch in Ordnung", findet die Referentin für Pflegerecht.
Sie rät, in diesem Fall zumindest eine Vorsorgevollmacht auszufüllen. Darin könne eine Person festlegen, wer für sie im Notfall gesundheitliche Entscheidungen übernehmen soll. Zusätzlich sollte man in regelmäßigen Abständen mit dem Menschen, der als Bevollmächtigter angegeben ist, über das Thema Tod sprechen, fügt Querling hinzu. "Es ist schwierig für jemanden, quasi über Leben und Tod zu entscheiden, wenn er nicht weiß, was der Betroffene gewollt hätte."
"Überlebenswille kann wachsen"
Die Patientenverfügung dient den Ärzten zwar als Handlungsgrundlage, sagt Bolze vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband. Trotzdem bleibe auch mit dem Dokument eine gewisse Unsicherheit. Es könne auch der Fall eintreten, dass die Situation im Krankenhaus nicht den Situationen entspreche, die die Person in der Patientenverfügung geschildert habe. "Es lässt sich nicht jedes Szenario vorhersehen", erklärt Bolze.
Zudem wies der Experte darauf hin, dass sich die Behandlungswünsche eines Menschen je nach Stadium der Krankheit verändern könnten. "Der Überlebenswille kann wachsen - auch dann, wenn sich der Mensch nicht mehr dazu äußern kann." Das müsse jeder wissen, der eine Patientenverfügung erstellt, fügt Bolze hinzu.
Der Franzose Vincent Lambert besaß keine Patientenverfügung. In seinem Fall hatte zuletzt das oberste Gericht in Frankreich entschieden: Die Richter stimmten der Entscheidung des Ärzteteams der Uniklinik in Reims zu, das die Behandlung Lamberts einstellen wollte. Der 42-Jährige starb schließlich im Juli dieses Jahres, nachdem er kein Wasser und keine Nahrung mehr über Magensonden erhielt. Lamberts Vater bezeichnete den Behandlungsstopp Medienberichten zufolge als "eine getarnte Ermordung, eine Sterbehilfe".