Bielefeld (epd). Eine Kirche mit Strahlkraft in die Gesellschaft und Engagement beim Klimaschutz: Dieses Bild hat Annette Kurschus, wiedergewählte Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, für ihre zweite Amtszeit von acht Jahren vor Augen. Die evangelische Kirche werde mit ihrer besonderen Botschaft in den kommenden Jahren eine "noch stärker gefragte Größe in unserer Gesellschaft sein", sagte die 56-jährige Theologin dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Sie sind jetzt seit acht Jahren Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Wie haben Sie Ihre erste Amtszeit erlebt?
Annette Kurschus: Als ich vor acht Jahren gewählt wurde, kam ich als reformierte Theologin und Superintendentin aus dem Siegerland vom geographischen Rande unserer Landeskirche. Mit dem neuen Amt habe ich gespannt und mit hohem Interesse die Weite unserer Landeskirche entdeckt mit ihren verschiedenen Mentalitäten und Frömmigkeitsformen. Dabei habe ich unsere Landeskirche regelrecht liebgewonnen. Es ist eine schöne Erfahrung und Aufgabe, unsere westfälische Kirche in dieser Weite zu repräsentieren mit einer klaren und erkennbaren theologischen Haltung. Das Präses-Amt habe ich von Anfang an geistlich akzentuiert, was meine Landeskirche nachdrücklich unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Präses zu sein ist ein schönes Amt, das auch seine Tücken hat. Ich habe eine dreifache Vorsitzfunktion: als Vorsitzende der Landessynode, der Kirchenleitung und des Landeskirchenamts. Das ist eine Herausforderung und hat seine Chancen und Gestaltungsmöglichkeit, die ich gern ausschöpfe. Leiten – und damit Atmosphäre zu prägen – bereiten mir Freude.
epd: Ihre bisherige Amtszeit hat Sie offenbar nicht abgeschreckt. Wie viel Privatleben ist denn neben den Präses-Verpflichtungen möglich?
Kurschus: Die zeitliche Belastung ist hoch. Ich achte darauf, mir gezielt Zeit für Familie, für Freunde und die Musik zu nehmen. Das ist gerade bei diesem hohen Pensum enorm wichtig und ein unverzichtbarer Ausgleich.
epd: Ihr weiteres Amt als stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende mindert die Belastung nicht gerade.
Kurschus: Das stimmt. Allerdings ist die Bereicherung ungleich größer als die Belastung. Deshalb empfinde ich dieses Ehrenamt als Privileg. Beispielsweise lassen die Besuche und Begegnungen in den östlichen Landeskirchen das eigene Tun in neuem Licht erscheinen und machen mir bewusst, wie reich wir beschenkt sind in unserer Kirche. Durch meine Arbeit im Rat kann ich unsere westfälische Kirche stärker sichtbar machen und an Entscheidungsprozessen beteiligen.
epd: Was haben Sie sich für Ihre zweite Amtszeit vorgenommen?
Kurschus: Mein theologisch-geistlicher Akzent wird ein Schwerpunkt bleiben. Eine besondere Herausforderung für meine zweite Amtszeit sehe ich im Bereich der Führung und Leitung, weil das Personal weniger wird und die Strukturen straffer werden. Mein Amtsvorgänger Alfred Buß hat das Bild gebraucht, das Kleid der Kirche müsse enger genäht werden. Dabei ist mir wichtig, dass wir Menschen nicht den Strukturen dienen, sondern die Strukturen den Menschen. Die Herausforderung ist deutlich: Ich möchte, dass unsere westfälische Kirche weiterhin ihre Ausstrahlung als geistliche Orientierungsgemeinschaft behält.
epd: Sie haben angekündigt, auch neue Akzente zu setzen. Wo zum Beispiel?
Kurschus: Wichtig wird sein, die neuen Kommunikationswege unserer Gesellschaft weiter zu entdecken, die insbesondere junge Generation nutzt. Hier wollen wir geeignete Formen finden und Menschen, die sie authentisch pflegen. Dabei gilt es, immer auch kritisch zu fragen, welche Grenzen es dabei für die Kommunikation des Evangeliums gibt. Ich denke da, um nur ein Beispiel zu nennen, an virtuelle Taufen.
Im Klimabereich muss sich einiges zu tun. Und hier denken wir insbesondere an die Verantwortung im eigenen Bereich. Wir werden zunächst vor der eigenen Haustür kehren und dafür Geld in die Hand nehmen. Dabei geht es etwa um alternative Formen dienstlicher Mobilität oder die umweltgerechte Sanierung von Pfarrhäusern und Kreiskirchenämtern.
Auch im Bereich der Migration werden wir unsere Akzente setzen. Ich bin gespannt, wie sich dadurch unsere Kirche und unsere Gemeinden verändern werden. Viele Gemeinden auch in den eher ländlich geprägten Räumen investieren schon seit Jahren viel Kraft und Phantasie, um mit geflüchteten Menschen Gemeinschaft zu leben. Diesen Weg werden wir weitergehen.
epd: Wie wollen Sie das Kirchenvolk bei den anstehenden Veränderungen mitnehmen?
Kurschus: Ich bin überzeugt davon, dass wir eine Durchmischung von Formen kirchlichen Lebens brauchen, bei dem manches Traditionelle neben dem Neuen bestehen bleibt. Gutes und Bewährtes zu erhalten, verstehe ich als kostbare Tugend. Es ist unser Auftrag, die Traditionen unserer Kirche und unseres Glaubens zu pflegen und zugleich mutig Schritte nach vorn gehen. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen unsere Kirche dafür gerade in diesen Zeiten des schnellen Wandels schätzen und brauchen. Das Bleiben steht dabei nach meiner Überzeugung für die Treue Gottes – und nicht für eine bestimmte Organisationsform.
epd: Sie wollen "selbstgemachten Regelsystemen" weniger Aufmerksamkeit schenken. Meint das weniger Bürokratie oder den Anfang vom Ende der Amtskirche?
Kurschus: Die Institution Kirche hilft uns in Vielem, weil sie ein organisatorisches Gerüst bereitstellt, innerhalb dessen wir unser kirchliches Leben gestalten können. Manche Vorgänge sind aber so starr geregelt und manche Abläufe so überorganisiert, dass man dafür sehr viel Energie braucht und die Inhalte in den Hintergrund geraten. Das schreit nach einer strikten Vereinfachung. Es braucht mehr Transparenz und Klarheit sowie kürzere und effizientere Wege.
epd: Wie wird die evangelische Kirche am Ende Ihrer zweiten Amtszeit im Jahr 2028 aussehen?
Kurschus: Unsere evangelische Kirche wird in den nächsten Jahren eine noch stärker gefragte Größe in unserer Gesellschaft sein. Unser Glaube lebt von einer Kraft, die nichts und niemand sonst bietet. Wir sind als Kirche dafür da, die Hoffnung lebendig zu halten in der Welt. Wir sind nicht diejenigen, die alles besser wissen, aber die, die der Verheißung trauen, dass Gott Gutes mit uns vorhat. Solches Vertrauen setzt Kraft frei und diese Kraft braucht die Welt nötiger denn je. Vermutlich in acht Jahren mindestens ebenso nötig wie heute.