Frankfurt a.M. (epd). Sie schreibt unermüdlich und überall - am Schreitisch und im Wald, auf einem Schiff oder im Café. Die Ideen scheinen Margaret Atwood nie auszugehen, ihre Gedanken hält sie auf dem Laptop, in Notizbüchern und manchmal auch auf Papierservietten fest. Am 18. November ist die kanadische Bestsellerautorin 80 Jahre alt geworden, sie wurde 1939 in Ottawa geboren.
Für ihr neues Buch "Die Zeuginnen" hat sie im Oktober den Booker-Literaturpreis bekommen. Es ist nach fast 35 Jahren die lang erwartete Fortsetzung ihres erfolgreichen dystopischen Romans "Der Report der Magd".
Die weltweite Premiere des Werks in einer Londoner Buchhandlung war live in mehr als 1.000 Kinos weltweit übertragen wurden. Obwohl kurz danach ihr langjähriger Lebensgefährte verstarb, der Schriftsteller Graeme Gibson, ging sie weiter auf Lesetour in Europa und Nordamerika. Fast 50 Jahre waren sie und Gibson ein Paar gewesen. Für die Zukunft plant Atwood weitere Reisen, etwa nach Afrika.
Der 1985 erschienene Bestseller "Der Report der Magd" - im Original: "The Handmaid's Tale" - ist mit mehr als acht Millionen Exemplaren ihr bekanntestes Werk. Er spielt in der nahen Zukunft, in der ein totalitäres, religiöses Regime die Macht übernommen hat. Darin werden Frauen unterdrückt, sie müssen als "Gebärmaschinen" dienen. Atwood schrieb den Roman im Orwell-Jahr 1984 in West-Berlin.
Kandidatin für Nobelpreis
Wer jedoch meint, dass das alles nur ihrer Fantasie entsprungen sei, den korrigiert die zierliche Frau mit dem silberfarbenen Lockenhaar. Sie habe nichts erfunden, all die grausamen Dinge seien so oder so ähnlich schon irgendwo einmal passiert. Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten stieg das Buch 2017 erneut in die Bestsellerlisten. Dazu trug auch die Serienverfilmung "Handmaid's Tale" bei, die bislang mit elf Emmys ausgezeichnet wurde. Mit den in Roman und Film beschriebenen roten Roben und weißen Hauben der "Mägde" protestieren Frauen in den USA immer wieder gegen schärfere Abtreibungsgesetze.
Atwoods rund 50 Romane, Essays, Kurzgeschichten und Gedichte sind in mehr als 30 Sprachen erschienen. International bekannt wurde sie durch ihren 1969 erschienen Roman "Die essbare Frau". Als Vizepräsidentin der weltweiten Schriftstellervereinigung PEN International setzt sie sich gemeinsam mit Salman Rushdie für verfolgte Autoren und Autorinnen ein.
Seit Jahren gilt die "Meisterin der Dystopie" zudem als Kandidatin für den Literaturnobelpreis. Im Jahr 2017 erhielt sie mit den Friedenspreis der deutschen Buchhandels. Atwood zeige politisches Gespür und eine Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen in der Gesellschaft, hieß es in der Begründung der Jury.
Als Prophetin wird sie oft bezeichnet. So sieht sie sich aber nicht. "Ich schreibe Bücher, weil ich denke, so könnte es kommen", sagte sie einmal. Auch sei "Der Report der Magd" keineswegs anti-religiös. Vielmehr wolle sie zeigen, dass Religion auch missbraucht werden könne, betont Atwood, die sich als strikte Agnostikerin bezeichnet.
Durch ihr ganzes Leben zieht sich die Liebe zur Natur: Ihr Vater war Insektenforscher, mit den Eltern verbrachte sie die Sommermonate in der kanadischen Wildnis. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für den Vogelschutz und beschäftigt sich mit der Klimakrise, der Verschmutzung der Weltmeere, mit Bürgerkriegen und Flüchtlingskrisen - etwa in ihren Werken "Oryx und Crake" oder "Das Jahr der Flut".
"Stimme der weiblichen Empfindsamkeit, aber auch Unerbittlichkeit"
Die Schriftstellerin sei "eine Stimme der weiblichen Empfindsamkeit, aber auch Unerbittlichkeit für ein anderes Amerika", würdigte sie einmal der Regisseur Volker Schlöndorff. Auch die Nachrichtenmoderatorin Petra Gerster ist ein Fan: "Wer denkt, Frauenemanzipation und Gleichberechtigung seien in der westlichen Welt fest verankert und unumkehrbar, muss Atwood lesen."
Auf Schriftsteller und alte Leute müsse niemand hören, erklärt Atwood, deren trockener Humor und feine Ironie in ihren Büchern und Interviews immer wieder hervorblitzt. Anders sei das bei Jugendbewegungen wie "Extinction Rebellion", sagt die Autorin, die bei Twitter aktuell mehr als 1,9 Millionen Follower hat.
In einem Podcast bezeichnete sie die 16-jährige schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg als "Jeanne d'Arc der Umweltbewegung". Gemeinsam sollten sie als "Frauen des Jahres" des internationalen Modemagazins "Glamour" ausgezeichnet werden. Dafür ließ Atwood sich in Model-Manier in ihren Lieblingsfarben schwarz und rot fotografieren.
Trotz der Weltuntergangsszenarien in ihren Werken sei sie Optimistin geblieben, betont Atwood. Eine Autobiografie will sie aber nicht schreiben: "Ich interessiere mich nicht so sehr für mich selbst, sondern für Geschichten und für meine Leser." Auch ihren Roman "Scribbler Moon" (deutsch etwa: Schreiberlings Mond) werden ihre Fans nicht zu Gesicht bekommen: Das Manuskript liegt beim norwegischen Verlag Future Library Project und soll erst im Jahr 2114 veröffentlicht werden.