Düsseldorf (epd). 1,75 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen können nicht mehr regelmäßig ihre Rechnungen bezahlen. Das sind 6.000 Erwachsene oder 11,72 Prozent mehr als noch im Vorjahr, wie aus dem am 14. November in Düsseldorf vorgestellten Schuldneratlas 2019 der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervorgeht. Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe beklagte, damit liege NRW deutlich über dem Bundesdurchschnitt von zehn Prozent. Diakonie-Vorstand Christian Heine-Göttelmann forderte mehr kostenfreie Schuldnerberatung. Der Sozialverband VdK Nordrhein-Westfalen warnte vor einer Zunahme der Altersarmut.
Deutschlandweit waren laut Schuldneratlas zum Stichtag 1. Oktober 6,92 Millionen Menschen über 18 Jahre überschuldet. Creditreform-Vorstandsmitglied Helmut Rödl sagte: "Trotz einer langjährigen guten Konjunktur hat sich die Lage nicht verbessert." Vor dem Hintergrund einer sich nun eintrübenden Wirtschaftslage in Deutschland sei deshalb mittelfristig nicht mit einer nachhaltigen Entspannung bei der privaten Überschuldung und Armutsgefährdung zu rechnen. "Die Überschuldungsampel bleibt weiterhin auf Rot", hieß es im Schuldneratlas.
Verbände warnen vor Altersarmut
Besorgniserregend ist laut Creditreform die überdurchschnittliche Zunahme von Überschuldung im Alter. So hat sich nach den Angaben die Zahl der überschuldeten Rentner über 70 Jahre in nur einem Jahr um 45 Prozent oder 118.000 Fälle auf 381.000 Menschen nahezu verdoppelt. In den vergangen sechs Jahren belief sich der Anstieg sogar auf 243 Prozent. "Besonders prekär ist, dass Senioren höhere Schulden bei geringem Einkommen haben und damit weniger Chancen, der Überschuldungsspirale zu entkommen", warnte der Bericht.
Als Hauptgründe für die Überschuldung im Alter sieht der Bericht neben niedrigen Renten als Folge geringer Einkommen die in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Mieten und Nebenkosten. Offen bleibe, ob die jüngst von der Bundesregierung beschlossene Grundrente die Überschuldungsgefahr im Alter werde eindämmen können, merkte Rödl an. Auch bei den 60- bis 69-Jährigen nahm die Zahl der Überschuldungsfälle zu, und zwar um 15 Prozent auf 641.000.
Die Verschuldungsquote Älterer - 2,95 Prozent in der Gruppe der über 70-Jährigen - bleibt aber trotz der deutlichen Zuwächse weiterhin unter den Vergleichswerten der jüngeren Altersgruppen. Die höchste Überschuldungsquote weisen die 30- bis 39-Jährigen mit 17,72 Prozent sowie die unter 30-Jährigen mit 12,13 Prozent auf. Hier spielen hohe Ausgaben dieser wirtschaftlich besonders aktiven Altersgruppen etwa durch Konsum, Hausbau oder Familiengründung eine Rolle.
Diakonie fordert kostenlose Beratung
Diakonie-Chef Heine-Göttelmann sprach sich für kostenfreie Beratung für alle Menschen aus. Derzeit profitierten nur 15 Prozent von einer kostenfreien Beratung. Daher müssten die Angebote dringend ausgebaut werden und ein Rechtsanspruch eingeführt werden. "Pro 50.000 Einwohner sollte es zwei vollzeitbeschäftigte Schuldnerberater geben", schlug er vor. Derzeit seien es deutschlandweit nur etwa 1,03 Berater.
Der nordrhein-westfälische VdK-Landesvorsitzende Horst Vöge zeigte sich mit Blick auf die Zunahme der Überschuldung bei Älteren besorgt. Rentner kämen nicht mehr mit ihren Einkünften über die Runden, warnte er. "Das liegt vor allem an Lebenssituationen und Schicksalsschlägen, für die es keine ausreichende soziale Absicherung gibt." Im Kampf gegen Altersarmut fordere sein Verband daher unter anderem, das Rentenniveau auf 50 Prozent festzuschreiben und eine Eindämmung von Minijobs, Befristungen, Zeit- und Leiharbeit. Sonst seien jene, die in jungen Jahren prekär beschäftigt seien, im Alter zwangsläufig auf staatliche Leistungen angewiesen, kritisierte Vöge.