Vor zehn Jahren saß Florian Schneider zum ersten Mal im Stadion des SV Darmstadt 98, um ein Fußballspiel des Zweitligisten zu verfolgen. Schneider, eigentlich gelernter Hotelfachmann, macht heute Fußballreportagen für Blinde. Dafür wurde der 38-Jährige sogar für den Deutschen Integrationspreis nominiert.

Dabei war es bei Schneider keine Liebe auf den ersten Blick für die "Lilien", wie der Verein wegen seines Wappens genannt wird. Doch nach seinem ersten Besuch im Stadion am Böllenfalltor kam er immer öfter, kaufte sich eine Dauerkarte für die Lilien. "Der Verein mit seiner Identität ist faszinierend", sagt er. "Das ist ein kleines Herzstück Fußball im großen Kommerzdschungel."

Blindenreporten zunächst nicht auf dem Schirm

2013 war Schneider dann dabei, als das Fanradio entstand. "Auf der Homepage haben sie Moderatoren gesucht", erinnert er sich. "Den Traum vom Radio- oder Fernsehmoderator haben ja viele. Und da konnte ich mich ausprobieren." Ein Jahr später stieg der Verein dann in die 2. Liga auf. Und damit begannen auch die Blindenreportagen.

"Wir hatten Blindenreportagen zunächst gar nicht auf dem Schirm", berichtet Schneider. Die Geschäftsführung des Vereins habe die Fanradio-Macher angesprochen, damit auch blinde Menschen im Stadion das Spielgeschehen live verfolgen können. Auf einer Schulung der Deutschen Fußball Liga DFL wurden die Fanreporter dann fit gemacht.

In der Saison 2018/2019 gab es nach Angaben der DFL erstmals in allen Stadien der Bundesliga spezielle Reportagen für Blinde und Sehbehinderte. Die erste Live-Blindenreportage war 1999 in Leverkusen angeboten worden.

Detailliertere Schilderungen

Was unterscheidet eine Blinden- von einer Hörfunkreportage? "Es kommt vor allem auf die Verortung an", sagt Schneider. Bei Radioreportagen stehe meist im Vordergrund, Stimmung zu transportieren. Bei einer Blindenreportage sage man detaillierter, was auf dem Spielfeld passiere. Es werde nicht kommentiert, sondern reportiert. "Aber natürlich freuen wir uns bei einem Tor für Darmstadt schon ein bisschen mehr", sagt Schneider.

Das klassische "Müller … Gnabry … Müller … Tor" gebe es in einer Blindenreportage nicht. Das würde bei Schneider etwa so klingen: "Rechts, gerade über die Mittellinie läuft Tobias Kempe zwei Meter von der Außenlinie entfernt, zieht jetzt in die Zentrale und schiebt den Ball flach über zehn Meter mit dem linken Fuß zu Felix Platte, der in die Gasse Richtung 16-Meter-Eck gesprintet ist. Platte fackelt nicht lange und zieht aus 14 Metern halb rechts im Strafraum ab. Flach unten links. TOOOOR! Der Ball schlägt direkt neben dem Pfosten ein."

"Qualitativ hochwertige Radioberichterstattung"

Die Reportagen des Fanradios bei Darmstadt 98 sind so aufgebaut, dass jeder am Spiel teilhaben kann - ob im Stadion oder im Livestream über das Internet. "Grundsätzlich ist der Zuhörer zu Hause ja auch blind", sagt Schneider. "Eine Blindenreportage ist für mich eine qualitativ hochwertige Radioberichterstattung."

Die Reportagen verschafften Schneider auch seinen heutigen Job: Auf den alljährlichen Schulungen der DFL wurde 2018 das Projekt T_OHR vorgestellt. Ziel ist es, die Expertise der Sehbehinderten- und Blindenreportage auf weite Teile der Gesellschaft und eine Vielfalt von Sportarten auszuweiten. Gefördert wird das Projekt von der Aktion Mensch und der DFL-Stiftung, getragen von AWO-Passgenau, dem Trägerverbund der Fanprojekte der Arbeiterwohlfahrt.

Schneider ist bei T_OHR einer von zwei Festangestellten. Das Projekt wurde sogar für den diesjährigen Deutschen Integrationspreis nominiert. In der zweiten Runde ging es darum, per Crowdfunding mindestens 10.000 Euro einzusammeln. Das Ziel verfehlte T_OHR nur um wenige Hundert Euro. Für die Lilien ist Schneider derzeit als stellvertretender Abteilungsleiter der Fan- und Förderabteilung FuFa aktiv.