Die Deutschen gehen einer Studie zufolge zunehmend pragmatisch mit dem Thema Migration und Integration um. Zwar meine immer noch die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung, es gebe zu viel Zuwanderung, heißt es in der am 29. August in Gütersloh veröffentlichten repräsentativen Studie der Bertelsmann Stiftung zur Willkommenskultur. Doch gleichzeitig sehen fast zwei Drittel von rund 2.000 bundesweit Befragten Vorteile der Einwanderung als Mittel gegen eine alternde Gesellschaft und Fachkräftemangel. Auch gelten Einwanderer, die in Deutschland arbeiten oder studieren, bei Behörden (79 Prozent) und Bevölkerung (71 Prozent) mehrheitlich als willkommen.

Die Aufnahmebereitschaft gegenüber Flüchtlingen, die während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 deutlich zurückgegangen war, ist laut Studie ebenfalls wieder gestiegen. Während vor zwei Jahren mehr als jeder Zweite (54 Prozent) die Ansicht vertrat, Deutschland habe bei der Aufnahme von Flüchtlingen seine Belastungsgrenzen erreicht, seien es heute 49 Prozent. Die Bundesmigrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz (CDU) sieht die Integrationspolitik der Bundesregierung durch die Studie bestätigt: "Die Richtung stimmt und macht Mut." Beim Koalitionspartner SPD ist das Echo dagegen verhalten.

Unter 30-Jährige aufgeschlossen

Für die Langzeitstudie zur Willkommenskultur werden seit 2012 alle zwei Jahre Umfragen durchgeführt. Für die aktuelle Untersuchung interviewte das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid im April im Auftrag der Bertelsmann Stiftung 2.024 Bundesbürger ab 14 Jahren.

64 Prozent sehen aktuell in der Einwanderung positive Auswirkungen für die demografische Entwicklung, wie es hieß. 41 Prozent der Befragten sprechen sich laut Studie für den Zuzug ausländischer Fachkräfte als Mittel gegen den Personalmangel in Pflege oder Handwerk aus. 67 Prozent bejahten die Aussage, Migration mache das Leben interessanter. Vor allem die unter 30-Jährigen hierzulande zeigten sich aufgeschlossen gegenüber Migration.

Sorge vor Verschärfung der Wohnungsnot

Gleichzeitig gibt es weiterhin kritische Töne gegenüber Einwanderung: So glauben 71 Prozent, der Zuzug aus dem Ausland belaste die Sozialsysteme. 2017 waren noch 79 Prozent dieser Ansicht. Rund zwei Drittel (69 Prozent) sehen die Gefahr von Konflikten zwischen Eingewanderten und Einheimischen. 64 Prozent befürchten Probleme in den Schulen durch zu viel fremdsprachige Schüler, 65 Prozent eine Verschärfung der Wohnungsnot.

Besonders in den ostdeutschen Bundesländern überwiegt laut Studie die Skepsis. Allerdings sei auch dort eine Mehrheit von 55 Prozent der Ansicht, Einwanderung habe einen positiven Effekt auf die Wirtschaft, hieß es. In Westdeutschland sind es den Angaben nach 67 Prozent.

Die Studie zeigt nach Ansicht von Annette Widmann-Mauz, dass Vielfalt in Deutschland "längst Normalität" ist. "Einwanderung wird immer stärker als Chance gesehen, vor allem bei jungen Menschen", sagte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (RND/29. August). Von Fachkräften aus dem Ausland profitierten Wirtschaft und Sozialsysteme. "Deshalb ist es gut, dass viele dieses Potenzial erkennen."

Warnung vor zu viel Optimismus

Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) warnte hingegen vor zu viel Optimismus. Die Ereignisse der Jahre 2015 und 2016 seien geprägt gewesen von einem Gefühl der Ohnmacht und Überforderung, sagte Köpping. Das habe sich bei vielen Menschen als Kontrollverlust eingeprägt. Am Ende werde Integration nur gelingen, wenn neben den notwendigen Förderungen auch für Akzeptanz von Vielfalt geworben werde. "Das ist vor allem eine Aufgabe für die Regionen in unserem Land, in dem Migration erstmals sichtbar zur Realität der Menschen wird", sagte die gebürtige Ostdeutsche.

Der Skepsis gegenüber Einwanderung könne durch eine bessere Steuerung begegnet werden, erklärte Jörg Dräger vom Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das qualifizierten Einwanderern den Zuzug erleichtern soll, sei deshalb der richtige Weg. Eine bessere Steuerung sei auch durch sichere Fluchtwege möglich, betonte Dräger. Das traditionelle Einwanderungsland Kanada biete für besonders schutzbedürftige Geflüchtete schon lange sogenannte Resettlement-Programme an, bei denen die Zivilgesellschaft einbezogen werde.