Rom (epd). Rund 30 Jahre nach seinem Tod gilt der italienische Schriftsteller Primo Levi (1919-1987) mit seinen Schilderungen über das Leben im Konzentrationslager Auschwitz noch immer als unermüdlicher Mahner, engagiert gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Sein autobiografischer Bericht "Ist das ein Mensch?" zählt heute zur Weltliteratur. Er warnte bereits in den 70er Jahren vor einem Wiederaufleben des Faschismus in Italien als "Anerkennung des Privilegs der Ungleichheit". Vor 100 Jahren, am 31. Juli 1919, kam er in Turin zur Welt.
Im Konzentrationslager überlebte der "Schriftsteller wider Willen", weil die Kenntnisse des Chemikers in der Chemie-Fabrik der I.G. Farben nützlich waren. Dort musste er Zwangsarbeit leisten. Bereits unmittelbar nach der Befreiung im Januar 1945 begann Levi, seine Erfahrungen aufzuschreiben. Sein erstes Buch "Ist das ein Mensch?" erschien zunächst in einem kleinen Verlag und stieß trotz positiver Kritiken auf wenig Resonanz.
Ohne Pathos, mit Genauigkeit
Levi schildert darin die - für ihn bis dahin unvorstellbare - systematische Entwürdigung der Häftlinge: durch Kälte, Hunger, Entzug von Schlaf und Hygiene, Sklavenarbeit, schwerste körperliche Leiden. Das alles beschreibt er ohne Pathos, aber um äußerste Genauigkeit bemüht.
Sein persönliches Schicksal sei weit davon entfernt, typisch für die Gefangenen von Auschwitz zu sein, bekannte Levi nüchtern. "Der typische Gefangene starb im Lauf weniger Wochen oder Monate an Erschöpfung oder an durch Hunger und Vitaminmangel verursachten Krankheiten", stellte er Ende der 70er Jahre in einem Brief fest. "Jeder von uns Überlebenden ist ein vom Glück Begünstigter."
Als Partisane wird der 24-Jährige 1943 im norditalienischen Aostatal festgenommen. Faschistische Milizen bringen ihn in ein Gefangenenlager, wo er sich als Jude bekennt, in der Hoffnung auf einen milderen Umgang. Anfang 1944 wird er nach Auschwitz deportiert.
Bei seiner Festnahme besaß Levi nach eigenem Bekunden "wenig Einsicht, keine Erfahrung". Hinzugekommen sei ein "ausgeprägter Hang, bestärkt durch die Absonderung, zu der mich seit nunmehr vier Jahren die Rassengesetze verurteilt hatten, mich in meine eigene, recht wenig reale Welt zu verschließen."
Als ihm in Auschwitz jegliche Habe bis hin zu Kleidung und Schuhen genommen wird, fragt Levi mit kahl rasiertem Schädel, ob ihm wenigstens die Zahnbürste wiedergegeben würde. Daraufhin lacht sein Gegenüber nicht einmal, wie er später berichtet. Wenige Tage später habe er über seine eigene Naivität gestaunt. Nach nur einer Woche sei sein "Reinigungsinstinkt" vollständig verschwunden, heißt es in "Ist das ein Mensch?". Auf die Frage, warum ihm selbst ein vor dem Fenster hängender Eiszapfen entrissen wird, mit dem er den heftigen Durst stillen wollte, heißt es nur: "Hier ist kein Warum".
Tod im Treppenhaus
Akribisch genau schildert Levi die systematische Entrechtung und Erniedrigung im Lager. Er beschreibt auch den Schwarzmarkt, der Teil der Lagerstruktur ist und bei der selbst Löffel begehrtes Diebesgut werden. Nach der Befreiung gelangt er erst nach einer monatelangen Irrfahrt nach Turin zurück. Diese Zeit beschreibt er in "Die Atempause", rund 15 Jahre nach "Ist das ein Mensch".
Während er seine Erlebnisse notiert, um sie für die Nachwelt in Erinnerung zu halten und die Motive der Täter zu ergründen, führt Levi gleichzeitig das Leben eines Angestellten in einer Chemiefabrik. Gemeinsam mit seiner Frau lebt er in Turin in dem Haus am Corso Re Umberto 75, in dem er geboren wurde. Erst 1977 zieht sich der Schriftsteller aus dem Berufsleben zurück, er war zuletzt Direktor einer Lackfabrik.
Mittlerweile weltberühmt lehnt er kurz vor seinem Tod das Angebot ab, den renommierten Turiner Einaudi-Verlag zu leiten. Am 11. April 1987 stürzt er im Treppenhaus vor seiner Wohnung in den Tod. Ob es Suizid war oder Folge seiner häufigen Schwindelanfälle ist bis heute Gegenstand von Mutmaßungen, meist wird von Suizid ausgegangen.