Zwei Männer mit wenig Haaren, eine feste Umarmung und gespitzte Lippen: Im Jahr 1989 schuf der damals in Ostberlin lebende Maler Hans Ticha mit seinem Werk "Der Kuß" im für die DDR seltenen Pop-Art-Stil eine ganz eigene Version des "Bruderkusses". Es ist eine der mehr als 300 Arbeiten, die das Museum der bildenden Künste in Leipzig seit dem 23. Juli auf fast 2.000 Quadratmeter Fläche zeigt. Zusammengetragen haben die Kuratoren eine spannungsreiche Sonderausstellung über die Zeit am Ende der Diktatur, den Umbruch und den Neubeginn in künstlerischer Auseinandersetzung.

Zu sehen sind unter dem Titel "Point of No Return" Werke von 106 Männern und Frauen. Darunter sind Prominente wie Werner Tübke, Willi Sitte oder Neo Rauch, aber auch unbekanntere oder vergessene Namen. Es sind Bilder, Skulpturen und Installationen, die nicht chronologisch zusammenhängen, kaum eine gemeinsame Geschichte erzählen und sich nicht immer auf den ersten Blick erschließen.

Denn es war den Kuratoren Alfred Weidinger, Paul Kaiser und Christoph Tannert wichtig, sich der Thematik über die individuellen Künstlerpersönlichkeiten zu nähern, die jeweilige Biografie und eigene schöpferische Verarbeitung der Zeit herauszustellen. So stehen auch Arbeiten von im Staat geschätzten Künstlern neben jenen von Dissidenten, Rebellen, Reformern und Geflüchteten.

Umbruch verschieden wahrgenommen

Ticha konnte einige seiner Bilder nur im Verborgenen behalten und der in Jena geborene Künstler Frank Rub wurde 1983 wegen seiner Tätigkeit sogar sechs Wochen inhaftiert. Für sie bedeutete das Ende der DDR etwas fundamental anderes als beispielsweise für Sitte, den langjährigen Präsidenten des Verbandes Bildender Künstler in der DDR. So fiel auch die künstlerische Bearbeitung anders aus: Sitte malte 1990 das programmatische Gemälde "Erdgeister", in dem er die Arbeiter kopfüber in Schlamm steckt. Er habe es der Arbeiterklasse übelgenommen, dass sie dem Kapitalismus fast vorbehaltlos Tür und Tor geöffnet habe, erklärt Kurator Tannert.

Wie die Ausstellung zeigt, sahen viele Künstler den Umbruch aber als Befreiung. Oftmals war ihre Kunst schon vor der friedlichen Revolution von Sehnsucht nach Öffnung und Veränderung geprägt. Die Hoffnung, die die Männer und Frauen in ihre Werke gelegt hätten, seien natürlich keine Vorwegnahme des Mauerfalls, meint Tannert. Aber dennoch griffen sie eine Kritik der Gegenwart und die Projektion einer offeneren Zukunft auf.

Besonders eindrucksvoll sind die Arbeiten, die in einem Werkzyklus sowohl vor, als auch nach der friedlichen Revolution entstanden sind, wie die den Angaben zufolge erstmals in Gänze gezeigte "Passagen"-Serie (1988-1994) der früheren Leipziger Kunstprofessorin Doris Ziegler. In mehreren Bildern zeigt sie den Wandel der Leipziger Innenstadtpassagen von einem kulturellen, aber dennoch melancholischen Rückzugsort zum Schauplatz turbulenter und radikal veränderter Verhältnisse.

Diskussion über Auseinandersetzung mit ostdeutscher Kunst

Die Schau "Point of No Return" verharrt aber nicht in der Kunst der unmittelbaren Nachwendezeit, sondern bezieht auch Arbeiten mit von Künstlerinnen und Künstlern ein, die zwar noch in der DDR geboren wurden, aber keine eigenen Erfahrungen mit dem Sozialismus gemacht haben. Diese Generation beschreibt oftmals aus dem Blickwinkel der Kinder die Zerrissenheit der Eltern und der Gesellschaft nach dem Umbruch, aber auch die heutigen Probleme, wie etwa die Fotoserie "Auslage" (2014) der 1975 geborenen Künstlerin Frenzy Höhne, die vor geschlossenen Ladengeschäften Menschen mit Werbesprüchen platziert.

Viele der Arbeiten sind wenig bekannt und bisher kaum gezeigt worden. Mit der Ausstellung will das Museum auch deshalb eine Diskussion über die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ostdeutscher Kunst anregen. Nach Einschätzung der Kuratoren ist die Forschung unzureichend, oftmals fehle schon ein Überblick über die Bestände. Eine umfassende Aufarbeitung sei nur in den seltensten Fällen vorhanden. Wahrscheinlich brauche es doch 30 Jahre, so meint Museumsdirektor Weidinger, den "ideologischen Rucksack" auszuleeren und sich auf die Kunst in und aus der DDR einzulassen.