Als Teil der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen hat das Bistum Regensburg zwei Studien veröffentlicht. Die Forschergruppen sprechen in ihren Berichten von Merkmalen einer "Totalen Institution" in der Vorschule, dem Internat und dem angeschlossenen Knabenchor der Domspatzen. Die Schule habe alle Lebensbereiche der Schüler gesteuert und kontrolliert, so habe ein Klima der Gewalt entstehen können, in dem vielfacher Missbrauch passierte. "Gewalttäter konnten in den Anonymitätsfugen eines Organisationssytems agieren, das für viele nur schwer zu durchschauen war", heißt es in einer am 22. Juli vorgestellten historischen Studie der Universität Regensburg.

Die Forscher sprechen von einem System, das dauernde Überwachung bis in intimste Bereiche der Körperlichkeit bedeutete, das aber selbst kaum von außen kontrolliert wurde. "Der Chor, seine Finanzierung und sein Erfolg standen stets im Zentrum und waren wichtiger als individuelles Wohlergehen der Schüler oder eine kindgerechte Pädagogik", heißt es in der Studie, die im Herbst als Buch erscheinen soll. Sie enthält Erkenntnisse über die Gewaltgeschichte von Vorschule, Internat und angeschlossenem Knabenchor zwischen 1945 und 1995. Die zweite Studie, eine kriminologische Untersuchung des Missbrauchs, wurde von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden veröffentlicht.

Ratzingers "Ohrfeigen"

Bereits 2017 wurde ein vom Bistum beauftragter Abschlussbericht zum Missbrauch vorgelegt. Demnach wurden insgesamt 500 Sänger Opfer von körperlicher Gewalt, 67 von sexueller Gewalt. Die Übergriffe hätten vor allem in den 60er und 70er Jahren stattgefunden. Als Täter seien 49 Menschen ausgemacht worden.

In dem Bericht zu den Misshandlungsfällen bei den Domspatzen stellte sich zudem heraus, dass der Papstbruder und frühere Domspatzen-Chorleiter Georg Ratzinger Teil des Gewaltsystems bei den Domspatzen war. Um "seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchzusetzen", habe der heute 95-jährige Ratzinger auch nach 1980 "körperliche Gewalt zumindest in Einzelfällen" angewendet, hieß es im Bericht. Ratzinger selbst sprach von "Ohrfeigen" und sagte, dass er sich seit 1980 strikt an das gesetzliche Züchtigungsverbot gehalten habe.

Insbesondere die historische Studie hat nun die Verstrickung Ratzingers in die Missbrauchsfälle untersucht. Seine Person sei "ambivalent", er habe Gewalt angewandt, doch sei er auch als "wohlwollend" und "väterlich" empfunden worden. Deutlich wird laut der Studie Ratzingers Rolle als stummer Mitwisser. Es sei ausgeschlossen, dass er nichts vom Prügelregime gewusst habe, wirkungsvoll eingegriffen habe er nicht.