Hans Leyendecker ist ein Kirchentags-Junkie. Seit 1975 hat der renommierte Journalist kein einziges der protestantischen Glaubensfeste verpasst, die alle zwei Jahre mehr als 100.000 Menschen anziehen. Dass er nun in Dortmund als Präsident an der Spitze des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages steht, empfindet der 70-Jährige als Geschenk und Ehre - und drückt der Großveranstaltung, die auch in Politik und Gesellschaft ausstrahlen soll, an vielen Stellen seinen Stempel auf.

Leyendecker erwartet einen Kirchentag der klaren Worte: theologisch, politisch und unbequem werde er sein, lebendig und diskussionsfreudig. Den Investigativjournalisten treibt die aktuelle Vertrauenskrise durch Digitalisierung, Turbokapitalismus und Fake News um. In der Mitte der Gesellschaft drohe wegen mancher Zukunftsängste und sozialer Verwerfungen "eine innere Auswanderung aus unserer Demokratie".

Der Kirchentag vom 19. bis 23. Juni wolle die Gräben überwinden helfen und Zuversicht als Gegengift zu Pessimismus und Untergangsstimmung verbreiten - unter anderem durch einen "Pavillon der guten Nachrichten", der Erfolge und Hoffnungen in den Blick rückt. Leyendecker will darüber reden, was sich in der Welt verbessert hat, auch die Kirche müsse "entjammert" werden.

"Ein Kirchentag ist aber keine Talkshow"

Die Probleme und Sorgen, Ängste und Nöte der Menschen sollen auf den Kirchentagspodien ebenfalls zur Sprache kommen - aber nicht durch AfD-Funktionäre: Die "Menschenfeinde, Hetzer und Rassisten" wollten Provokation und keine inhaltliche Debatte, sagt Leyendecker. "Ein Kirchentag ist aber keine Talkshow."

Dortmund ist für Leyendecker, der hier in den 70er Jahren Redakteur und Reporter bei der "Westfälischen Rundschau" war, ein idealer Kirchentagsort, nicht nur wegen der kurzen Wege: "Die Stadt spiegelt die bunte Vielfalt der Gesellschaft wider und zeigt gleichzeitig, wie man einen Strukturwandel schaffen kann."

Innige Beziehung zur Revierstadt

Seit Kindheitstagen pflegt der Kirchentagspräsident zudem eine innige Beziehung zu der Revierstadt: Er ist seit 63 Jahren Fan von Borussia Dortmund und besitzt schon sehr lange eine Dauerkarte, "ein großes Erbgut". Seine Armbanduhr ist ebenso schwarz-gelb wie die Handyhülle, auch das Haus und der Garten von Familie Leyendecker stecken voller BVB-Devotionalien. "Ich habe inzwischen alles", sagt er.

Geboren wird Hans Leyendecker am 12. Mai 1949 im rheinischen Brühl. Der Vater ist Ingenieur, die Mutter Hausfrau und streng katholisch. Mit 14 geht der Junge in ein katholisches Internat in Fulda, er wird Chefredakteur der Schülerzeitung, will zeitweise Priester werden. Bei einem Zeitungsvolontariat in Stade bei Hamburg lernt er seine spätere Frau Marlies kennen, er zieht ihr nach Bayern hinterher, arbeitet dort als freiberuflicher Journalist und heiratet die Protestantin 1972 im Alter von 23 Jahren.

Eine ökumenische Trauung ist nicht möglich und Leyendecker wendet sich der evangelischen Kirche zu. Aus Rücksicht auf die katholische Mutter lässt sich das Paar erst 2008 evangelisch trauen. Einige Jahr später konvertiert Leyendecker zum evangelischen Glauben, an dem er die Freiheit schätzt: "Es stört mich zunehmend, wenn mir irgendjemand erklären will, was ich zu glauben habe."

Ab 1979 erarbeitet sich Leyendecker beim Magazin "Der Spiegel" einen Namen als Investigativjournalist, der zahlreiche Affären und Skandale aufdeckt. Nach einem Streit mit Chefredakteur Stefan Aust wechselt er 1997 zur "Süddeutschen Zeitung", wo er 2009 die Leitung des neuen Ressorts für investigative Recherche übernimmt. Seit 2016 ist er offiziell im Ruhestand.

"Gottvertrauen ist der Puls meines Lebens"

Wohn- und Rückzugsort ist seit 1986 das großzügige Eigenheim in Leichlingen im Bergischen Land unweit von Köln, wo Leyendecker während seiner beruflichen Wechsel wohnen blieb. Umgeben von Wäldern und Wiesen ist genügend Platz, wenn die fünf Kinder und neun Enkel zu Besuch kommen. Auch zur "Hauskirche", dem Altenberger Dom, und zu den Heimspielen des BVB ist es von dort nicht weit.

"Gottvertrauen ist der Puls meines Lebens", sagt Leyendecker zur Bedeutung seines persönlichen Glaubens. Seit Monaten reist er durch die Lande, um Menschen für den Kirchentag als Glaubensfest und Ort des Dialogs zu begeistern. "Ich will auf dem Kirchentag präsent sein", sagt er. "Und ich freue mich eigentlich auf alles."