Addis Abeba (epd). In Addis Abeba gehört der Wandel zum Alltag: Dutzende Wolkenkratzer glitzern in der äthiopischen Hauptstadt um die Wette, immer neue Hochhäuser wachsen in die Höhe. Dazwischen schlängelt sich die vor drei Jahren eröffnete Stadtbahn, die täglich 150.000 Passagiere ins Zentrum bringt. "Wer nur alle paar Jahre nach Addis kommt, erkennt die Stadt kaum wieder", sagt Constantin Grund, der das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. Doch das ist nichts im Vergleich zum politischen Wandel, der das Land seit April erfasst hat.
Seither regiert ein neuer Ministerpräsident das Land am Horn von Afrika: Abiy Ahmed. Der 42-Jährige ist ein Gewächs der Einheitspartei EPRDF, die Äthiopien seit dem Sturz des Mengistu-Regimes 1991 regiert. Er machte erst im Militär und dann im Geheimdienst Karriere. Jetzt beginnt er das Land nach Jahrzehnten autoritärer Herrschaft zu öffnen.
Abiy hat Tausende politische Gefangene frei- und verbotene Parteien wieder zugelassen. Er hat Frieden mit Eritrea geschlossen, die Hälfte der Kabinettsposten und das Präsidentenamt an Frauen vergeben und verspricht für 2020 freie Wahlen. Als Chefin der Wahlkommission kürte er eine prominente Oppositionelle.
"Euphorie"
"Es herrscht große Euphorie um Abiy Ahmed als Person, aber auch um den politischen Stil, den er eingeführt hat", beobachtet Grund. Die Atmosphäre im politischen Betrieb habe sich vollkommen geändert, nicht nur in Addis, sondern landesweit. Die Menschen redeten offen über Politik, während früher die Angst herrschte, überall und permanent abgehört zu werden. Allerdings: "So ein Reformkurs erzeugt natürlich auch ein Stück weit Verlierer", warnt Grund. Seit April hat Abiy bereits einen Anschlag und einen Putschversuch überstanden.
Vor allem im Militär, dessen korrupte Geschäfte durch Ermittlungen mehr und mehr ans Licht kommen, gibt es Widerstand gegen Abiy. Viele Generäle stammen aus Tigray, einer Provinz im Norden, die von Abiys autoritären Vorgängern bevorzugt wurden. Abiy dagegen ist Oromo, Vertreter der größten Ethnie im Land. Das dürfte einer der Gründe sein, warum er sich in der EPRDF gegen die Konkurrenz durchsetzte. Die Partei hofft, dass Abiy die Jugend in Oromia besänftigen kann, nachdem diese zweieinhalb Jahre lang auf die Straßen gegangen ist. Bei den Unruhen gab es Tote und Verletzte.
Die Gründe für die Revolte liegen für Berhanu Negussie auf der Hand, der vor mehr als 35 Jahren an der Seite von Karl-Heinz Böhm die Hilfsorganisation "Menschen für Menschen" aufgebaut hat und heute deren Landesrepräsentant ist. Zwei Drittel der 105 Millionen Äthiopier sind unter 25, die Jobs reichen nicht. Selbst Uniabsolventen bleiben arbeitslos. "Es ist eine hoffnungslose, verzweifelte Generation entstanden", sagt Negussie.
Wachsende Ungeduld
Banden von jungen Männern, Queroo genannt, seien deshalb auf die Straße gegangen, bewaffnet mit Steinen oder Stöcken. "Die Jugendlichen sagten: 'Kommt her, erschießt uns doch. Was haben wir schon zu verlieren?'", erinnert sich Negussie. "Das war der Anfang vom Ende der sogenannten starken Regierung mit ihrer Ideologie, das alles brach in sich zusammen." Auf der Fahrt durch Oromia sieht man heute überall auf Bussen und Tuktuks das Bild Abiys, mal vor der Flagge Äthiopiens, mal umrankt von einem Herz aus Blumen. Doch es gibt noch ein Symbol: die rot-grün-rote Fahne mit einem Baum in der Mitte, Symbol der Oromo-Befreiungsbewegung OLF.
Wie andere Oppositionsgruppen ist sie seit Abiys Amtsantritt wieder erlaubt, die Führung aus Eritrea zurückgekehrt. Sie will die OLF zur Partei umbauen, um 2020 an den Wahlen teilzunehmen. Aber nicht alle Mitglieder sind dazu bereit. Mancherorts haben sich Bewaffnete abgespalten. Eine Horde von Queroo überfiel im September Angehörige anderer Volksgruppen am Stadtrand von Addis Abeba. Sie brüllten "Haut ab aus unserem Land" und töteten 23 Menschen. Abiy reagierte mit Härte, so wie seine Vorgänger. Mehrere junge Männer wurden erschossen, 3.000 vorübergehend verhaftet.
Die wachsende Ungeduld der jungen Äthiopier könnte das größte Problem für Abiy werden, glaubt der emeritierte Domprediger Joachim Hempel, der derzeit Pfarrer der deutschen lutherischen Gemeinde in Addis Abeba ist. "Es werden gerade Erwartungen geschürt, dass morgen alles anders ist als es gestern war." Das aber hält er für ungerechtfertigt. Trotz allen Fortschritts sieht er fußläufig von seiner Kirche Szenen, wie er sie noch von seinem ersten Aufenthalt vor 45 Jahren kennt. Damals erlebte er, wie Putschisten den Kaiser absetzten. "Wenn man die Gunst des Augenblicks nicht nutzt, dann könnte es sein, dass die Soldaten wieder aufmarschieren", fürchtet er.