Werther (epd). Wie ein Findling fügt sich das Gebäude in die Landschaft aus Feldern, kleinen Wäldern und Obstwiesen im westfälischen Arrode, Ortsteil der Kleinstadt Werther nahe Bielefeld. Der geradlinige Flachbau hält sich zurück mit seiner geduckten Architektur, die graue Fassade aus Muschelkalk-Steinen. Innen offenbart sich ein großzügiger Raum mit warmen Holzelementen. Panoramafenster öffnen den Blick ins Grün und lassen viel Licht hinein ins Museum Peter August Böckstiegel, das nach rund zweijähriger Bauzeit am 30. August mit einem Festakt eröffnet wird.
Die moderne Architektur beherbergt künftig Kunst der klassischen Moderne. Dreh- und Angelpunkt wird das Werk des westfälischen Künstlers Böckstiegel (1899-1951) sein, Sohn von Arroder Kleinbauern, der vor 100 Jahren mit zur Avantgarde in Deutschland gehörte. Mit dem Neubau will die Peter-August-Böckstiegel-Stiftung die Bedeutung des Malers und Bildhauers in Erinnerung rufen, der in der Weimarer Republik mit zu den wichtigen Vertretern des späten Expressionismus zählte und der "Dresdner Sezession Gruppe 1919" um Otto Dix und Conrad Felixmüller angehörte.
Platz für den Nachlass des Künstlers
Gleichzeitig schafft das zweigeschossige Gebäude mit einer Gesamtfläche von knapp 1.200 Quadratmetern Platz für Böckstiegels umfangreichen Nachlass. Neben insgesamt 1.300 Bildern und Skulpturen des Künstlers gehört dazu auch dessen große Kunstsammlung, in der Namen wie Barlach - den er sehr verehrte -, Lehmbruck, Munch und Kollwitz vertreten sind. Die Werke waren bislang zum großen Teil in einem Lager in Gütersloh untergebracht sowie im Geburtshaus Böckstiegels - ein leuchtend rotes Bauernhäuschen neben dem Museum, in dem der Künstler bis zu seinem Tod lebte und das von seiner Familie erhalten wurde.
Als neue Heimat der bedeutenden Sammlung bietet das Museum Peter August Böckstiegel ein klimatisiertes Depot und eine Ausstellungsfläche von rund 300 Quadratmetern. Außerdem befinden sich in dem barrierefreien Gebäude ein Raum für Kunstvermittlung, Museumsshop und Café. Für den Bau stellte der Kreis Gütersloh ein Stiftungskapital von zwei Millionen Euro bereit, weitere zwei Millionen Euro warb die Böckstiegel-Stiftung ein über private Spenden sowie Fördergelder ein, darunter vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der NRW-Stiftung.
Drei Ausstellungen sind pro Jahr geplant. "Eine davon wird stets den Schwerpunkt auf Böckstiegels Werk legen", sagt Museumssprecherin Lilian Wohnhas. Außerdem werde der Blick auf Künstler gerichtet, die ihn inspirierten und beeinflussten. So ist im kommenden Frühjahr eine Ausstellung über den deutschen Impressionisten Robert Sterl (1867-1932) angesetzt.
Die Eröffnungsschau mit dem Titel "Ausdruck seines Ursprungs" vom 30. August bis 21. Oktober zeigt laut Wohnhas einen Querschnitt von Böckstiegels Vielseitigkeit. Rund 70 Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen und Skulpturen sind zu sehen. Zeitlich schlägt die Ausstellung einen Bogen von frühen Arbeiten im Jahr 1913 bis zum Spätwerk des Künstlers nach dem Zweiten Weltkrieg.
Vertreter eines "romantischen Expressionismus"
Böckstiegel vertrat im Gegensatz zu Felixmüllers sozialkritischen Darstellungen des Arbeitermilieus einen "romantischen Expressionismus". Wie seine Vorbilder, die Maler der Gruppe "Die Brücke" (1905-1913), war er geleitet von der Suche nach Ursprünglichkeit. Seine Motive sind Blumenstillleben, Ernte-Impressionen und immer wieder seine Eltern und die Bauern in Arrode, deren einfache Lebensform und Nähe zur Natur Böckstiegel bewunderte, ohne sie zu idealisieren. Ebenso oft hielt der "Bauernmaler", wie er sich selbst nannte, seine Ehefrau Hanna - stolz oder verklärt madonnenhaft - und die Kinder Sonja und Vincent im Bild fest.
Die klare Handschrift Böckstiegels sei in allen Werken sofort erkennbar, meint Wohnhas: "Kurze Pinselstriche, die Farbintensität, die Parallele, die sich zwischen Landschaft und Physiognomie der Menschen wiederfindet, etwa die Ackerfurchen als Falten in den Gesichtern der Bauern."
Auch Böckstiegels Bilder aus den beiden Weltkriegen widmen sich den Menschen. Er zeichnet die Alten und Kinder in den Dörfern Russlands und Rumäniens, wo er als Soldat im Ersten Weltkrieg stationiert war. Das Bild "Mein Quartier im Osten" von 1916 zeigt seinen Unterschlupf in einem tiefen, dunklen Wald in Weißrussland. Eine Flüchtlingsfrau malt er nach dem Zweiten Weltkrieg in sich versunken, grau, mit leerem Blick. "Heimat, der Verlust davon ist bei ihm wiederkehrendes Motiv", erklärt Wohnhas. Von den Nationalsozialisten als "entarteter Künstler" verfemt, konnte der Pazifist Böckstiegel nach 1945 im Kunstbetrieb nicht wieder Fuß fassen. Er war vor 1933 nicht so prominent gewesen wie Emil Nolde oder Max Beckmann, die später rehabilitiert wurden.
Das alte Ausstellungsgebäude in Arrode, das Böckstiegel-Geburtshaus, verzeichnete rund 4.000 Besucher pro Jahr. Das Museumsteam hofft, die Zahl mehr als zu verdreifachen. Ausstellungskooperation mit anderen Städten sind geplant, etwa mit Dresden. "Ihn verband viel mit der früheren Metropole, wo er studierte, ein Atelier unterhielt, wichtige Kontakte zur Avantgarde knüpfte und sein Kunstverständnis erweitere." In der sächsischen Hauptstadt erinnert heute eine August-Böckstiegel-Straße an ihn.