Heinz Martin Schumacher hebt vorsichtig den Deckel eines Metall-Containers an. Schnell umgibt den Wissenschaftler eine weiße Nebelwolke: flüssiger Stickstoff. Schumacher, der über seinem weißen Kittel eine blaue Kälteschutz-Schürze trägt, zieht langsam ein Metallgestell aus dem Container. Daran sind Kästen mit kleinen Kunststoffgefäßen befestigt, in denen bei minus 196 Grad Teile von Kartoffelpflanzen im Miniaturformat eingefroren sind. "Wir hoffen, damit die Pflanzen möglichst mehrere Jahrhunderte erhalten zu können", sagt Schumacher und blickt unter der Schutzbrille kurz auf.

Um die Artenvielfalt zu sichern, lagern in Braunschweig Tausende Duplikate einer der größten sogenannten Kryo-Sammlungen weltweit in einer Art Dornröschenschlaf. Die ursprüngliche Sammlung befindet sich etwa 100 Kilometer weiter südöstlich im Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt. Dort werden die Pflanzenproben seit mehr als 20 Jahren eingefroren. Etwa 1.600 Kartoffelsorten und dazu noch Knoblauch- und Minzarten hat Biologin Manuela Nagel mit ihrem Team bereits in den Stickstoff-Tanks eingelagert.

Verfahren aus den 50er Jahren

Während das Verfahren der Kryo-Konservierung (wörtlich: Kälte-Konservierung) bereits seit den 1950er Jahren für die Reproduktionsmedizin weiterentwickelt wurde, ist die Geschichte der Pflanzenproben im flüssigen Stickstoff noch relativ jung. Am Braunschweiger Leibniz-Institut der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen hat Kurator Schumacher in den 1990er Jahren an der Entwicklung einer Methode mitgearbeitet: Mit dieser können Genbanken weltweit Pflanzen, insbesondere die Sorten, die mit Samen nicht erhalten werden können, routinemäßig einfrieren und bei Bedarf wieder auftauen.

Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts geht die Vielfalt der Pflanzenarten zurück, wie Biologin Nagel erklärt. "Im Handel sind oft nur noch wenige Kartoffelsorten zu finden, da Landwirte aufgrund des steigenden Kostendrucks nur noch resistente Hochzuchtsorten anbauen, die reich im Ertrag sind." Die teils vom Aussterben bedrohten Landsorten aus aller Welt werden in Gatersleben und einem weiteren Institut in Groß Lüsewitz in Mecklenburg-Vorpommern aufbewahrt. Dazu zählen auch blaue Kartoffeln oder welche mit rotem Fruchtfleisch. Angefragt werden die Sorten für wissenschaftliche Zwecke oder von Landwirten oder Privatpersonen, die einen erneuten Anbau planen.

Für die Kryo-Konservierung entziehen die Wissenschaftler den etwa einen Millimeter großen Spitzen der Sprossen das Wasser, sagt Nagel. "Indem man sie dann schnell in flüssigem Stickstoff abkühlt, wird die Bildung von Eiskristallen vermieden, die das Gewebe schädigen können." Ebenso schnell müssen die gefrorenen Pflanzenteile auch wieder aufgetaut werden. "Bis ein erkennbares Pflänzchen entsteht, dauert es acht Wochen und dann bis zu einem Jahr, bis sie zu einer Kartoffelpflanze heranwächst."

Geldproblem

Kartoffeln können nur über die Knollen im Feld, über kleine Pflänzchen auf Nährboden im Reagenzglas oder über die Kryo-Konservierung sortenrein erhalten werden, sagt Nagel. Der Prozess zur Kryo-Konservierung ist zwar aufwendig, aber dennoch weniger arbeitsintensiv als die anderen beiden Methoden. Zumal die Erhaltung im Feld auch bedeutet, dass die Pflanzen unter anderem anfällig für Viren, Pilze, Bakterien und Umweltkatastrophen sind.

In Braunschweig schließt Kurator Schumacher mit seinen blauen Schutzhandschuhen die Stickstoff-Tanks wieder fest zu. Die Technologie der Kryo-Konservierung von Pflanzenproben habe sich zwar rasant entwickelt, sei aber immer noch mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden, sagt er.

Rund 95 Prozent aller Pflanzen könnten über eigenes Saatgut in einem Kühllager bei minus 18 Grad erhalten werden. Dies werde wohl auch in Zukunft die Methode der Wahl bleiben. Besonders in tropischen Ländern wäre die Kryo-Konservierung jedoch sinnvoll, weil es dort besonders viele Arten ohne Saatgut gebe. "Leider reichen dort oft die finanziellen Ressourcen nicht aus."

Das Braunschweiger Institut beherbergt mittlerweile in einem fensterlosen Raum vier große Stickstoff-Tanks aus Gatersleben. Jeder enthält jeweils mehr als 4.000 Proben. Ob diese tatsächlich nach 1.000 Jahren wieder aufgetaut und zu Pflanzen gezüchtet werden können, sei natürlich ungewiss, sagt Schumacher. "Bewiesen ist die Annahme erst, wenn die Proben nach vielen Jahrzehnten der Lagerung erfolgreich reanimiert wurden."