Was wäre Worpswede ohne die Maler, die dort vor fast 130 Jahren eine Künstlerkolonie gegründet haben? Wahrscheinlich ein verschlafenes Dorf wie viele andere in der Nähe von Bremen, idyllisch am Weyerberg gelegen, umgeben vom Teufelsmoor. So aber machte der Ort Karriere und ist heute die wohl bekannteste Künstlerkolonie Deutschlands, was besonders an Wochenenden viele Touristen anlockt. Doch es gibt ein Leben vor der Künstlerkolonie, denn Worpswede wurde vor 800 Jahren erstmals urkundlich erwähnt.

Wer sich auf die Suche nach den ersten Siedlungsspuren machen will, sollte am Fuß des Weyerbergs beginnen, in der Bauernreihe, wie die Straße heute heißt. Hier siedelten acht große Höfe mit 300 bis 400 Hektar Grund, die 1218 unter dem Namen "Worpensweede" dokumentiert wurden. "Das waren ziemlich reiche Bauern, der Ort war gut gewählt", erzählt Hans-Hermann Hubert, Fremdenführer, Ortsarchivar und Vorsitzender des örtlichen Heimatvereins. "Quellen lieferten frisches Wasser, sandige Böden am Hang des Weyerbergs erlaubten Ackerbau, den das umliegende Moor nicht zuließ."

Auch der Abstand zum nächstgelegenen Fluss war wichtig. Einerseits war er klein genug, um die Hamme als Fischrevier und Verkehrsader nutzen zu können. Andererseits aber auch groß genug, um vor Hochwasser geschützt zu sein. "Insellage und geistliche Grundherrschaft, die ab 1550 lutherisch ausgerichtet war, boten relativen Schutz vor adeligen Fehden und Plünderungen, so dass die bäuerliche Dorfgemeinschaft lange in Frieden wirtschaften konnte", erläutert Hubert.

Wer nach den Gründungsgeschichten des Dorfes forscht, stößt auch unweigerlich auf die alte Volkssage vom Riesen Hüklüt. Der Menschenfresser soll durch eine List ins Teufelsmoor gelockt worden sein und warf mit Sand um sich, der sich heute noch als Weyerberg knapp 55 Meter über die umliegende Moorlandschaft erhebt - mit einer grünen Waldkuppe gekrönt.

Eigentlich gehört auch die letzte große Eiszeit zu den Meilensteinen der Worpsweder Entstehungsgeschichte. Denn in Wahrheit war sie es, die mit ihren Schmelzwassern eine Insel aus Sand, Lehm und Ton formte. Viel später waren es dann der einigermaßen glimpflich überstandene Dreißigjährige Krieg und vor allem die Moorkolonisation unter Jürgen Christian Findorff (1720-1792), die die Region prägten. Und dann natürlich das Jahr 1889, die Stunde null für die Künstlerkolonie, Sehnsuchtsort der Freilichtmalerei außerhalb von Akademien und Ateliers.

"Das Dorf und die Kunst gehören zusammen"

Die Maler waren von Menschen, Licht und Farben fasziniert, die sie hier trafen. So schwärmte Fritz Mackensen, Pionier der Künstlerkolonie, über die Wolken: "Die köstlichsten Gebilde leuchtendster Glut in zahllosen Formenhaufen gebannt, darunter dunkler Acker mit krapprotem Buchweizenstoppel und in dunkler Weite satte Formen goldumrändert, blitzende Wasserläufe, auf denen schwarze Segel ihre Bahnen zogen." Er war es auch, der über Worpswede sagte: "Es gibt viele Weltstädte, aber nur ein Weltdorf."

"Das Dorf und die Kunst gehören zusammen", betont Bürgermeister Stefan Schwenke, kommunales Oberhaupt des 5.400-Seelen-Ortes und ein waschechter "Weyerbarger Jung". Die Worpsweder Mühle, heute eines der Wahrzeichen des Ortes, wurde 1888 von seinem Ururgroßvater gekauft und von seinem Vater als letztem Windmüller Worpswedes betrieben.

1895 feierten die Worpsweder Maler mit ihrer Ausstellung im Münchner Glaspalast den künstlerischen Durchbruch und begründeten den Mythos der Kolonie, dem Kunsttouristen in den Galerien und Museen des Ortes seither nachspüren. Knapp vier Jahrzehnte später kam der Nationalsozialismus, der die Dorfgemeinschaft wie andernorts auch in Täter, Mitläufer und Opfer teilte, wie Hubert formuliert. "Prominentestes Mitglied der NSDAP war der Mitbegründer der Künstlerkolonie, Fritz Mackensen."

Mittlerweile ist das Dorf staatlich anerkannter Erholungsort und bietet immer noch die Chance, das berühmte Licht über dem Weyerberg zu entdecken. "Aber Vorsicht", rät Hubert und schmunzelt: "Wer sich nur ins Café setzt und Kaffeepreise vergleicht, hat von der Schönheit Worpswedes und der ruhigen Landschaft drumherum nichts gesehen."