Nenad M. strahlt über das ganze Gesicht. "Jetzt bin ich frei", kommentiert der 21-Jährige das Urteil des Landgerichts Köln, das ihm am 17. Juli Schadensersatz wegen jahrelanger falscher Beschulung auf der Förderschule zusprach. "Es ist ein bisschen das Gefühl wie letzter Schultag." Das wichtigste an der Gerichtsentscheidung sei für ihn die offizielle Bestätigung, dass er nicht geistig behindert ist.

Elf Jahre lang besuchte Nenad M. Förderschulen für Kinder mit geistiger Behinderung. "Gesunder Menschenverstand hätte ausgereicht, um zu sehen, dass er keine geistige Behinderung hat", sagt seine Rechtsanwältin Anne Quack. Nenad M. selbst hatte seine Lehrer immer wieder vergeblich darum gebeten, auf eine Regelschule gehen zu dürfen.

Falsche Berteilung von Grundschule

"Was ich erlebt habe, das wünsche ich keinem", sagt der junge Mann. Er habe auf der Förderschule nichts gelernt. Es sei nur darum gegangen, tägliche Abläufe wie Essen Vorbereiten oder Tische Abwischen zu erlernen. "Irgendwann bin ich dann nicht mehr hingegangen." Dass er ständig die Schule schwänzte, sei dann auch als Ausdruck seiner vermeintlichen Behinderung ausgelegt worden. "Ich habe mich dann irgendwann nicht mehr gekümmert", berichtet Nenad M.

Angefangen hatte seine Leidensgeschichte in Bayern, wo er als Grundschüler bei einem nonverbalen Einstufungstest gnadenlos durchfiel. Das Problem sei jedoch gewesen, dass er damals kein Deutsch verstanden habe, sagt Nenad M. Er habe einfach nicht gewusst, was man von ihm gewollt habe. Die Folge war eine elfjährige Förderschulkarriere.

Unterstützung von Kölner Elternverein Mittendrin

Eine Wende zum Besseren stellte sich für Nenad M. erst ein, als er in die Beratungsstelle des Kölner Elternvereins Mittendrin fand. Kurz vor seinem 18. Geburtstag setzte er mit Hilfe des Vereins durch, eine Berufsschule besuchen zu dürfen. Ein von seiner Rechtsanwältin veranlasster Intelligenztest ergab, dass er normal begabt ist. Er habe als Jahrgangsbester seinen Hauptschulabschluss erlangt, berichtet Quack.

"Das Lernen hat mir großen Spaß gemacht"

"Als ich dort Arbeitsblätter vorgelegt bekommen habe, war das für mich völlig neu", erinnert sich der junge Mann. "Aber ich habe mich da reingefunden. Das Lernen hat mir großen Spaß gemacht." Immer noch leidet Nenad M. allerdings unter den Folgen der jahrelangen falschen Beschulung. "Es verfolgt mich manchmal in meinen Träumen", sagt er. Und er habe teilweise immer noch große Angst, tatsächlich geistig behindert zu sein. Wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist Nenad M. in psychotherapeutischer Behandlung. "Das hat mir auch schon geholfen", sagt er.

Seinen größten Wunsch, eine Ausbildung als Automobilkaufmann zu machen, kann er vorerst nicht verwirklichen. "Dafür hätte ich einen Realschulabschluss gebraucht." Sein Ziel ist nun, einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskaufmann zu bekommen. Derzeit arbeitet er als Aushilfe in einem Supermarkt und hofft, dort in eine Ausbildung übernommen zu werden. Die Arbeit helfe ihm, sagt Nenad M. "Ich lerne jetzt langsam, die Vergangenheit ruhen zu lassen."