"Nun mach schon!", sagen sie und lachen. Es ist der Geburtstag von Dennis Scherers Mutter, als der damals 17-Jährige beim Fotografieren der Partygäste den Nebel auf seinem rechten Auge bemerkt. "Bis dahin war mir gar nicht klar gewesen, dass etwas nicht stimmt", erinnert er sich. "Mein linkes Auge hatte die Sehschwäche einfach ausgeglichen."

Wenig später fahren beide von Berlin nach Tübingen, zu einer Spezialistin. Es stellt sich heraus, dass Scherer wohl an einer Erbkrankheit leidet. Seine Mutter hatte mit Anfang 30 ihr Augenlicht verloren. Warum, das wird auch ihr erst jetzt offenkundig.

Es sind düstere Tage in diesem Oktober 2002. Zwischen Mitte und Ende Dezember verschlechtert sich Scherers Sicht auch auf dem linken Auge derart, dass er kaum noch etwas erkennen kann. Er ist jetzt auf beiden Augen fast blind. Fast zehn Jahre lang hatte der junge Mann mit dem dichten rotblonden Haar zu diesem Zeitpunkt Tennis gespielt. Die präzise Hand-Augen-Koordination, die nötig ist, um auf dem Feld gegen seinen Gegner zu bestehen, beherrschte der ehrgeizige Athlet in ihm nicht nur, sondern genau das schätzte er an diesem Sport so sehr.

"Mit der Diagnose war das erst mal vorbei. Mein neuer 'Sport'", ergänzt er leicht zynisch, "bestand darin, mich in dieser ungewohnten Situation zurechtzufinden." Bald wird klar, dass eine plötzliche Unterversorgung des Sehnervs Ursache und unlösbares Problem zugleich ist.

Heute zittern eine Art rot-grün flackernde Lichtimpulse auf dunklem Hintergrund, wo einst die Mitte von Scherers Blickpunkt war. Am Rand lassen sich vage Szenen ausmachen, sagt er, "aber nur wenn sie sehr kontrastreich sind und ich nah dran bin." Unterteilt in winzige Momentaufnahmen flimmert das bildhafte Geschehen an ihm vorbei, bevor er es wirklich erfassen kann.

Erfindung eines Japaners

Aber er spielt wieder Tennis - Blindentennis. Möglich gemacht hat dies Miyoshi Takei. Als blinder, aber sportbegeisteter Teenager kreierte der Japaner 1984 einen schaumstoffüberzogenen Tennisball, in den ein mit metallischen Kügelchen gefüllter Golfball eingenäht wurde. Dank des rasselnden Geräuschs bei der Bodenberührung konnte Takei den Ball verorten und returnieren. Geboren war das Blindentennis.

Der rasselnde Ball fliegt etwas langsamer und darf bei blinden Spielern dreimal im eigenen Feld aufspringen, bei hochgradig Sehbehinderten zweimal, ehe er wieder zurück übers Netz geschlagen werden muss. Das kleinere Feld entspricht einem Junioren-Court, bei dem die Begrenzungen mit einer starken Schnur nachgezogen und von einem rauem Band überklebt sind, um mit den Füßen ertastet werden zu können. Kürzere Juniorenschläger erhöhen die Trefferquote. 2016 fand in Köln das erste deutsche Blindentenniscamp statt, seitdem breitet sich der Sport zunehmend auch in Deutschland aus.

In Berlin-Steglitz liefern sich der blinde Dennis Scherer und der sehende Victor Borchers einen Schlagabtausch, als dort Mitte Mai ein internationales Blindentenniscamp stattfindet. Das Tempo ist enorm, laut peitscht der Ball durch die Luft. Am anderen Ende der Halle hält Monika Dubiel inne und horcht. "Wow, das klingt ja gefährlich!", sagt die 30-jährige Polin, lacht kurz unsicher auf. Vorsichtig geht sie an der Wand entlang, dem Ballgeräusch entgegen.

Neues Körpergefühl

Für Vollblinde wie Dubiel eröffnet sich mit dem Blindentennis ein vollkommen neues Körpergefühl, wie sie sagt. "Die Orientierung auf dem Spielfeld nicht zu verlieren, während man sich gleichzeitig auf Haltung, Gegner und Ball konzentrieren muss, ist schon eine Herausforderung." Dass sie ohne Sehsinn unterwegs ist, kennt sie nicht anders. Neu ist ihr das Spiel an sich. "In Warschau trainieren wir, ohne wirklich gegeneinander anzutreten."

Wie ihr geht es auch den anderen zehn Teilnehmern des Blindentenniscamps: Sie kommen aus Polen, Großbritannien und Italien, wollen Neues ausprobieren, Orientierung und Sportlichkeit verbessern. Ihre eingeschränkte, verlorene oder nie dagewesene Sehkraft durch flinke Bewegungen und ein aufmerksames Ohr wettmachen. Nebenbei beweisen sie sich und anderen, was alles möglich ist.

Gespielt wird nicht nach Kompetenz oder Altersklasse, sondern auf Basis des nicht oder noch vorhandenen Sehvermögens. "Wir wollen mit diesem Workshop nicht nur zum Zeitvertreib an den Sport heranführen", erklärt Dennis Scherer. "Langfristig wollen wir eine Community aufbauen."

Scherer hat an der Freien Universität Politik studiert und widmet sich heute als Trainer wieder ganz seinem Sport. Während des Workshops ist er "Betreuer, Spieler und Coach in einer Person", sagt er und klingt so stolz wie müde dabei. Daneben versuchen zwei weitere sehende Tennistrainer, sehbehinderten und blinden Sportlern das richtige Ballgefühl zu vermitteln. "Aber der Zugang ist natürlich ein anderer", sagt Scherer.

Philipp Deininger, Inhaber der Tennisschule Netzroller, kümmert sich beim Tennisklub Blau-Gold Steglitz hauptamtlich um Kinder, Jugendliche und Erwachsene - alle in der Regel sehend. Mit Scherer gemeinsam Übungen für blinde Spieler zu konzipieren, ist für ihn eine Herausforderung, die er gern annimmt, wie er sagt: "Da ich durch eine Pigmentstörung als Baby fast blind war und erst nach und nach sehen gelernt habe, ist mir das Ganze ein persönliches Anliegen."

Und Scherer? Es gibt immer wieder Momente, in denen der Berliner kurz mit seinem Schicksal hadert, sagt er. Doch statt seine Energie in Frustration zu ertränken, will er lieber dafür kämpfen, in Deutschland einen normalen Tennisbetrieb für blinde Sportler mit aufzubauen. Das bringe langfristig allen mehr Lebensqualität, sagt er, auch wenn der Weg dorthin noch weit sei.