Beim Familiennachzug zu Flüchtlingen mit untergeordnetem, subsidiärem Schutz mahnen Rechtswissenschaftler und Migrationsexperten transparente und nachvollziehbare Kriterien an. Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestags am 11. Juni in Berlin plädierten die eingeladenen Sachverständigen dafür, dass allen Beteiligten klar sein müsse, wer aus welchem Grund zu den 1.000 Angehörigen gehört, die monatlich nach Deutschland kommen dürfen. Den drei eingeladenen Rechtswissenschaftlern der Universität Konstanz zufolge genügen die vorgelegten Entwürfe indes den verfassungs-, völker- und europarechtlichen Anforderungen.

Der am 15. Juni vom Bundestag beschlossene Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass der Familiennachzug zu Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz, der seit Frühjahr 2016 ausgesetzt ist, ab August wieder möglich wird: Pro Monat sollen 1.000 Angehörige kommen können. Mit diesem Kontingent wird aber nicht wieder der Rechtsanspruch auf Familienzusammenführungen eingeführt, der bis 2016 galt. Außerdem gibt es eine Härtefallregelung, wonach bei "dringenden" humanitären Gründen Angehörige in Einzelfällen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Bei diesen Angehörigen sollen laut Entwurf auch "Integrationsaspekte besonders" berücksichtigt werden.

Integrationsbemühungen als Anreiz

Nachzügler sollen demnach künftig vom Bundesverwaltungsamt ausgewählt werden. Ausgeschlossen sind Ehegatten, wenn die Ehe nicht schon vor der Flucht geschlossen wurde, Gefährder und Menschen, die schwerwiegende Straftaten begangen haben. Berechtigt zum Nachzug sind grundsätzlich nur Angehörige der sogenannten Kernfamilie, also Ehepartner, Kinder und bei Minderjährigen die Eltern.

Der Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Deutschland, Roland Bank, schlug vor, Familien mit minderjährigen Kindern vorzuziehen und die übrigen in der Reihenfolge der Asylantragstellung zu berücksichtigen. Der Konstanzer Rechtswissenschaftler Kay Hailbronner wiederum sagte, dass Integrationsanstrengungen nicht nur bei den humanitären, sondern bei allen Antragstellern als "Anreiz" gewürdigt werden sollten.

Die Leiterin des Willkommenszentrums des Berliner Senats, Nele Allenberg, lehnte dies ab: Ihrer Erfahrung nach löse die Sorge um die Familie eine Blockade bei den Menschen aus, was etwa den Spracherwerb oder den Beginn einer Ausbildung angehe. Zugleich plädierte auch sie für klare Kriterien: Je weniger nachvollziehbar diese seien, desto mehr Klagen werde es geben.

Warnung vor "Verwaltungschaos"

Die rechtspolitische Referentin von Pro Asyl, Bellinda Bartolucci, beklagte, dass die Entscheidungen teils "willkürlich" getroffen werden müssten. Ein Kontingent könne keinen Anspruch ersetzen, betonte sie. UNHCR-Mitarbeiter Bank gab zu bedenken, dass das Schutzbedürfnis von subsidiären Flüchtlingen und Asylberechtigten sich derzeit in Deutschland meist nicht grundlegend unterscheide.

Uwe Lübking vom Städte- und Gemeindebund hob hervor, dass die Kommunen nach wie vor vor großen Herausforderungen in Sachen Unterbringung und Integration von Flüchtlingen stünden. Der Leiter der Ausländerbehörde Berlin, Engelhard Mazanke, ermahnte die Abgeordneten mit Verweis auf notwendige Vorbereitungen, dass das Regelwerk rasch fertig werden müsse, "sonst haben wir Verwaltungschaos".

Hilfsorganisationen und Gewerkschaften riefen Bundestag und Bundesrat unterdessen dazu auf, den Gesetzentwurf abzulehnen. In einem gemeinsamen Brief mahnten die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Diakonie Deutschland, die Deutsche Liga für das Kind, der Verband Entwicklungspolitik sowie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, dass die damit verbundene Trennung von Ehepaaren und Familien auf lange Dauer nicht hinnehmbar sei. Die Organisationen appellierten an die Politik, ein Signal zu senden, dass Deutschland ein starkes Land, eine offene Gesellschaft und eine handlungsfähige Demokratie sei, die dem Schutz der Familie gerecht werde.